Nippons Skandale verpuffen folgenlos

Eine einzigartige Welle von Korruptionsaffären erschüttert Japan, doch Reformen sind nicht absehbar/ Finanzminister übt „Buße“ durch Gehaltskürzung/ Opposition mit sich selbst beschäftigt  ■ Aus Tokio Georg Blume

Alle Jahre wieder ergibt sich Japan dem Skandalrausch. Dann platzen die Eiterblasen der Macht. Im Zuge weniger Tage decken die Tokioter Medien auf, was jahrelang in allerlei dunklen Ecken der Wirtschaftssupermacht verbrochen wurde und nicht länger verheimlicht werden kann. Große Empörung wird alsbald von den Verantwortlichen suggeriert, weitreichende Reformen werden versprochen, doch am Ende bleibt alles, wie es war, und der japanische Bürger hat das Nachsehen.

Die diesjährige Skandalwelle begann Ende Juni, als die Leitung des weltgrößten Wertpapierhauses Nomura ihre unglaublichen Machenschaften mit Nippons berühmter Mafia, der Yakuza, bekanntgeben mußte. Im Schatten dieses größten aller japanischen Aktienskandale kommt seither Tag für Tag ein neuer Korruptionsvorgang ans Licht, der jeder für sich genommen die volle Aufmerksamkeit einer wachsamen Öffentlichkeit bedürfte. Doch die begreift längst nicht mehr, was für ein Spiel mit ihr getrieben wird.

Auf die Nomura-Affäre folgte Anfang vergangener Woche der Marubeni-Skandal. Nippons zweitgrößtes Handelshaus, Mitglied einer der führenden Unternehmensgruppen der Welt, hatte einen fiktiven Warenhandel über 80 Millionen DM im Stahlgeschäft inszeniert, und zwar mit Wissen zweier weiterer Stahlfirmen und des viertgrößten Handelshauses im Land, Nissho Iwai. Die Staatsanwaltschaft ließ vergangene Woche mehrere der verantwortlichen Firmenmanager verhaften. Kaum war das geschehen, gestand der Elektromagnat Hitachi am Donnerstag ein, daß die Firma im Aktiengeschäft mit Nomura unerlaubte Kompensationszahlungen in der Höhe von mehreren Millionen DM erhielt. Diesmal wurde niemand verhaftet, doch muß nun der Hitachi- Vorsitzende Katsushige Mita um sein Amt bangen.

Um darüber hinaus das Bild einer einträchtigen Skandalwelt von Wirtschaft und Politik abzurunden, veröffentlichte eine Tokioter Wochenzeitschrift das vielsagende Foto des Chefs der kleinen „demokratisch- sozialistischen“ Oppositionspartei, Keigo Ouchi, mit einem Yakuza- Führer der Inagawa-Bande. Ouchi, der seit einigen Monaten als zukünftiger Koalitionspartner der regierenden Liberaldemokraten hofiert wird, müßte unter normalen Umständen abdanken. Doch in diesen affärenreichen Tagen sind seine Gangster- Rendezvous den Zeitungen allenfalls eine Kurzmeldung wert.

Natürlich wird Nippons Skandalkonzert von hoher Stelle orchestriert. Über die Business-Affären regiert das Finanzministerium. So hat denn auch, als eine Art öffentlicher Buße, der Finanzminister Hashimoto angekündigt, aufgrund der Mitverantwortung seines Ministeriums in der Börsenaffäre sein Gehalt für drei Monate um jeweils umgerechnet 5.400 DM zu kürzen. Politische Affären werden in der Regel von der Parteispitze der Liberaldemokraten eingeleitet. Alle großen Medien des Landes folgen den Regieanweisungen von oben. Nur in den seltensten Fällen sind die Enthüllungsgeschichten der Zeitungen als Eigenrecherche von Journalisten erkennbar. Statt dessen entsprechen die Skandalmeldungen der Presse meist anonymen Verlautbarungen von Ministerialbeamten und Parteisekretären. „Je reicher sie sind, desto korrupter sind sie auch“, schimpfte meine Gastwirtin von nebenan. Doch der Geist solcher Entrüstung bleibt in Japan an die Theken und Stammtische verbannt. Dafür sorgen nicht zuletzt auch die Sozialdemokraten als führende Oppositionspartei des Landes. Statt Kritik zu üben am Zusammenspiel zwischen Gangstern, Unternehmern und Regierungspolitikern, nehmen sie von den Ereignissen kaum Kenntnis und sind vollends mit der Wahl eines neuen Parteichefs beschäftigt. Ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Skandalwelle am letzten Wochenende konnte deshalb eine Umfrage der Nachrichtenagentur 'Kyodo‘ einen Popularitätsrekord der amtierenden Regierung verzeichnen. Demnach unterstützen 53,5 Prozent der Japaner Premierminister Toshiki Kaifu, und nur noch 13,4 Prozent stehen zu den Sozialdemokraten.