: „Gegen die Mär vom toten Moor“
Jugendinitiative gegen Daimler baut Hüttendorf auf dem Gelände der geplanten Mercedes-Teststrecke in Papenburg/ Protest „gegen den Autowahn“/ Bevölkerung hilft ■ Aus Papenburg B. Rambalski
Über dem Gemeinschaftszelt flattert die Bundschuhfahne grün im Wind. „Zur moralischen Unterstützung“ hatten zwei Sympathisanten aus Boxberg am Wochenende das widerstandserprobte Symbol ihres Sieges gegen Daimler nach Papenburg gebracht. Dort stehen seit dem vergangenen Freitag knapp 20 Zelte im Moor — als Keimzelle eines Hüttendorfes, das die „Jugendinitiative gegen Daimler“ (gegründet von Jugendlichen aus Janun, dem Zusammenschluß von BUND-Jugend, Naturschutzjugend und Umwelt-AGs an Schulen) auf dem Gelände der geplanten Mercedes-Teststrecke errichten will.
„We want Moor“ ist an die Zeltplane gemalt: „Wir wollen die Mär vom toten Moor erschüttern“, sagt Sven Giegold und korrigiert die Reporterin von Sat1 heftig, als sie ihn als „Besetzer“ vorstellen will: „Ich bin Naturschützer.“ Allein 50 bedrohte Tierarten leben dort, wo Mercedes auf 870 Hektar Moorboden für 300 Millionen Mark Betonpisten aufschichten will. Mercedes preist sein Prüfgelände in aufwendigen Broschüren als „ökonomische und ökologische Chance“ für die Region Papenburg. Für die rot-grüne Landesregierung ist es ein „vertretbarer Kompromiß“ zwischen „Ökonomie und Ökologie“: Entgegen ihrer Koalitionsvereinbarung hatte die Landtagsfraktion der Grünen im Mai mitbeschlossen, das niedersächsische Raumordnungsprogramm für die Teststrecke zu ändern und damit ein richtungsweisendes Signal gesetzt. Die Basis tobte. „So könnt Ihr die ökologisch denkende Wählerschicht nicht halten“, wirft Naturschützer Giegold dann auch Kalle Puls, Landtagsabgeordneter der Grünen, in einer der zahlreichen Diskussionen vor, die die BesetzerInnen jetzt mit Politikern und BürgerInnen anzetteln. „Wir haben uns nicht durchsetzen können. Politisch war das ganz klar eine Niederlage“, kann Kalle Puls dem auch nur beipflichten. Gerade frisch verheiratet war Kalle Puls-Janssen am Wochenende mit Sekt ins Hüttendorf gekommen — und abgeblitzt: „Zu feiern gibt's hier nichts“, erklärten die Jugendlichen und bestellten ihn zum medienwirksamen Streitgespräch tags darauf.
Mit dem Umweltreferenten der SPD-Landtagsfraktion, Onno Poppinga, im Schlepptau berichtet der Politiker, weshalb seine Fraktion wie die der SPD hinter dem Projekt von Mercedes stehen — obwohl sie angeblich „die gleichen Ziele“ wie die Naturschützer verfolgen: Die ökologische Gesamtbilanz sei nämlich positiv. Allerdings nur, wenn Mercedes sich in den Verhandlungen auf die formulierten Forderungen einläßt und wenn die Umweltverträglichkeitsprüfung bei diesem Großprojekt tatsächlich nach den Kriterien durchgeführt wird, mit denen die Landesregierung bei der geplanten Teststrecke „Maßstäbe für die Zukunft“ (Poppinga) setzen will.
Um 1.275 Hektar Boden geht es in den Verhandlungen zwischen dem Land Niedersachsen und der Mercedes-Benz AG. Rund 870 Hektar wird davon das umwallte Testgelände verschlingen: 6,2 Kilometer lang, 1,4 Kilometer breit. Sechs Fahrbahnen nebeneinander, dazu eine Fahrdynamikplatte mit 370 Metern Durchmesser, außerdem Rutschplatten mit 180 Metern Durchmesser, 3,6 Kilometer „Handlingkurs“, Schlammstrecke, Brems- und Geräuschmeßstrecke, Steigungshügel. 130 Hektar müssen dafür versiegelt werden. Auf Kosten von Daimler soll im Gegenzug eine vergleichbare Industriebrache entsiegelt werden. Außerdem will Niedersachsen den Konzern verpflichten, 500 Hektar Abtorfgebiet zur Moorfläche zu renaturieren.
Mit dem Torfabbauunternehmen, das noch bis zum Jahr 2005 Abtorfrechte auf dem Gelände hat, verhandelt das Land derzeit über Abfindungssummen. Die soll der Großunternehmer jedoch in Pilotprojekten für die Kompostierung statt in weiteren Torfabbau investieren, so die Landesregierung. Die rund 50 Torfarbeiter soll Mercedes übernehmen. „Na gut. Damit wird dem Moloch Mercedes zum ersten Mal etwas abgerungen“, meint Hüttendorf- Bauer Sven Giegold. Trotzdem: Hier werde wieder der unendliche Autowahn gefördert. Wenn Daimler mit der Teststrecke am Ende tatsächlich die versprochenen 300 Arbeitsplätze schafft, dann hat der Konzern pro Arbeitsplatz eine Million investiert. Giegold: „Warum nutzt Daimler das nicht zur Konversion?“ Außerdem, dies hatten die erfolgreichen Gegner des Teststrecken-Projektes in Boxberg von Friedensforschern untersuchen lassen, ist das Prüfgelände „prima militärisch nutzbar.“ Warum solle dies im Emsland anders sein, zumal der Welthafen Emden und die Öllager gar nicht weit sind?
Auflagen zu erarbeiten, was Daimler in Papenburg testen darf, das könnte ein Resultat der beginnenden Widerstandsbewegung sein. Bis zum medien- und publikumswirksamen Einzug im Moor hatte die „BI gegen die Teststrecke“ beinahe hoffnungslos gegen die Informationspolitik des Konzerns angekämpft. Hinter vorgehaltener Hand sind jedoch mehr Leute gegen das Projekt als zunächst angenommen, wird an den vielen MoordorfbesucherInnen deutlich. Sie lassen Angst durchblicken — darüber, daß die versprochenen Arbeitsplätze eh mit Ingenieuren aus dem Süden besetzt werden und daß sie nicht mitbestimmen können, was hinter Betonmauern auf dem Gelände passiert. Die Bauern der Umgebung unterstützen die jugendlichen Naturschützer mit Holz und Lebensmitteln. „Wir bleiben solange wir können“, sagen die derzeit rund 20 HüttendorfbewohnerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet. Und spätestens zum Baubeginn seien sie wieder da. „Laßt euch nicht entmutigen“, hatten die erfolgreichen Boxberg-KämpferInnen geschrieben. Auch bei ihnen hatte der Widerstand klein angefangen, sei zehn Jahre lang als „aussichtslos“ bezeichnet worden. Bis zum Sieg.
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