INTERVIEW
: „Ersatzteillieferungen sind ein Gebot zur Aufrechterhaltung des Betriebes“

■ Bernd Volkmann, technischer Leiter des abgeschalteten Atomkraftwerks in Greifswald, über seine Eindrücke nach einem Besuch im bulgarischen Atomkraftwerk Kosloduj

taz: Herr Volkmann, Sie sind soeben aus Bulgarien zurückgekehrt. War das Bundesumweltministerium über Ihre Reise unterrichtet?

Volkmann: Die Reise wurde unter der Schirmherrschaft der Betreiberorganisation WANO (World Association of Nuclear Operators) Paris und WANO Moskau unternommen. Das Umweltministerium ist über die WANO und durch die EG von der Reise informiert worden.

Umweltminister Töpfer und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) haben die Abschaltung des AKW Kosloduj gefordert. Sie selbst waren vor Ort. Was rechtfertigt Ihrer Meinung nach die Abschaltung?

Die IAEA hat im Juni eine planmäßige Kontrollmission in Bulgarien durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Kontrolle sind als höchst kritisch zu bezeichnen. Es gibt eine ganze Reihe grober Unzulänglichkeiten; vor allem die Arbeits- und Lebensbedingungen am Standort Kosloduj lassen zu wünschen übrig.

In der Kritik am AKW stehen die Managementprobleme im Vordergrund. Unter anderem fehlen wohl die sowjetischen Techniker, die dort einmal arbeiteten...

Die Instabilität der Managementstrukturen ist die Folge der politischen Veränderungen im Lande. Das führt zwangsläufig zu der Frage, ob sich das auf die Bedienung und Betriebssicherheit des AKW auswirkt.

Sind denn noch sowjetische Experten in Kosloduj?

Die sowjetischen Experten, die betriebsbegleitend an den Reaktoren 1 bis 4 gearbeitet haben, sind nicht mehr am Standort. Nur die Spezialisten für den Anlaufbetrieb von Block 5 und 6 sind noch da.

Wie steht es um die Sicherheitskultur im AKW, um Sicherungskästen und Stromleitungen?

Hier sind die Erkenntnisse der IAEA-Kommission zutreffend: Da müssen einige Verbesserungen vorgenommen werden. Es ist nicht aber so, daß blanke Kabel herumhängen. Es trifft zu, daß man Kabeldurchführungen und Kabeleinführungen der Niedrigspannungsebenen und der Mittelspannungsebene sowie deren Kästen entsprechend den Technikauflagen nachbessern muß.

Gibt es noch weitere Sicherheitsprobleme, die Ihnen bei ihrer zweitägigen Besichtigung aufgefallen sind?

Schwer zu sagen, nach nur zwei Tagen. Eins jedoch ist klar: Es ist notwendig, den Besen in die Hand zu nehmen. Wenn man in der Kerntechnik arbeitet, hängt das eigene Leben daran — und noch viel mehr. Dann traut man eigentlich keiner Türklinke mehr. Eine Summe von Kleinigkeiten, von Streichhölzern eben, bilden nun mal auch eine große Brandgefahr. Diese Arbeit muß unbedingt gemacht werden. Vieles hat ganz offensichtlich auch damit zu tun, daß die Attraktivität der Arbeit im Kraftwerk nicht mehr vorhanden ist — nach den Umbrüchen in Bulgarien ist offenbar die Bezahlung im Kraftwerk unter die der Umgebung abgerutscht. Unter diesen Bedingungen ist eine notwendige Arbeit nicht mehr gewährleistet. Als ich 1978 zum ersten Mal in Kosloduj war, hatte ich einen guten, einen sehr guten Eindruck von der allgemeinen Sauberkeit und der Professionalität des Personals. Eben das hat seither nachgelassen.

Die Bulgaren gelten als schlecht informiert und mangelhaft ausgebildet. Da liegen offenbar nicht einmal die Konstruktionspläne des AKW vor.

Also ich wage zu behaupten, daß weder in sowjetischen noch, wie ich glaube, in westlichen Kernkraftwerken die Konstruktionspläne und die kompletten Sicherheitsanalysen generell vorliegen. Die Reaktorbauer stellen halt die Ergebnisse zur Verfügung.

Liegt in Bulgarien weniger vor als hier?

Das war in zwei Tagen nicht zu klären. Das ist aber sicher eine der ersten Stellen, wo man einhaken muß.

Eine ganz andere Frage: Es ist die Rede davon, daß aus dem AKW Greifswald für 19 Millionen D-Mark Ersatzteile nach Bulgarien geliefert werden sollen...

Der Gedanke liegt doch nahe, daß man Ersatz- oder Verschleißteile, die bei uns nie aus der Herstellerverpackung herausgekommen sind, nicht gleich zersägt und auf den Müll wirft, oder? Das ist ein Gebot der Sparsamkeit. Aber auch ein Gebot zur Sicherung des Betriebes in einem Land wie Bulgarien. Wenn der Wunsch besteht, werden wir diese Ersatzteile nach den Regeln der Technik durch eine Kontrollmontage laufen lassen, sie montieren, ausmessen und möglicherweise auch noch die Leitmontage vor Ort vornehmen. Damit hätten wir hier immerhin auch Arbeit, die wir ganz dringend brauchen.

Können Sie etwas Konkretes über die Art dieser Ersatzteile sagen?

Sie betreffen das gesamte Kraftwerk. Die sicherheitsrelevanten Teile sind in Bulgarien noch vorhanden. Zum großen Teil geht es um relativ einfache Ersatzteile, darunter beispielsweise Teile für die Turbinenanlage. Warum sollen wir denn Turbinenschrauben wegwerfen, wenn sie als Ersatzteile woanders noch gebraucht werden... Interview: Hermann-Josef Tenhagen