Im Kampf mit dem Text

■ Die Theatergruppe Rigodon mit »Philoktet« von Heiner Müller

Philoktetes wird beim Marsch auf Troja von einer Schlange ins Bein gebissen. Die Wunde eitert, fault und fängt erbärmlich an zu stinken. Diesen Gestank ertragen seine Kampfgenossen nicht: heimlich, im Schlaf, lassen die Griechen Philoktetes auf der Insel Lemnos zurück.

Einige Zeit später — der Kampf um Troja stagniert — weissagt ein Orakel, daß der Krieg nur entschieden werden könne, wenn Philoktetes wieder dabei sei. Holen soll ihn daraufhin der sprachgewandte Odysseus. Der allerdings war einer von denen, die Philoktetes auf Lemnos zurückließen, und um ihm nicht als erster zu begegnen, sucht er sich Neoptolemus, den Sohn Achilleus, zu seiner Unterstützung aus. Neoptolemus, selbst kein großer Freund der Griechen, wird vorgeschickt und verhandelt mit Philoktetes. Schließlich geht dieser dann mit nach Troja, seine Wunde wird geheilt, und mit seinem gefürchteten Bogen greift er ins Kampfgeschehen ein. Soweit zu Sophokles.

Heiner Müller hat sich diese Tragödie vorgenommen und sie um einiges verschärft. Seine Fassung »Philoktet« beginnt mit der Ankunft von Odysseus und Neoptolemus auf Lemnos. Neoptolemus schafft es auch hier, Philoktet zu beschwichtigen und bekommt sogar seinen Bogen zu fassen — ein Zeichen von Vertrauen, das Philoktet bereuen soll. Neoptolemus zweifelt an seinem Auftrag, er hat Gewissensbisse. Jetzt greift Odysseus ein: ein Wortduell beginnt, in dessen Verlauf der Bogen immer wieder neu erkämpft wird. Denn wer den Bogen hat, ist in der stärkeren Position. Zum Schluß wendet sich das Blatt auf eine zynische Weise: Odysseus tötet Philoktet und nimmt den Leichnam mit nach Troja. Philoktet selbst, als lebende Person, ist bei Heiner Müller nicht mehr wichtig. Sein Bogen hat weitaus größere Bedeutung, und Philoktet kann auch tot der Weissagung zu ihrer Erfüllung verhelfen.

Eine Truppe namens »Rigodon« hat sich an »Philoktet« herangewagt — und prompt dabei übernommen. In dem etwas provisorischen Raum am Leuschnerdamm kämpfen drei junge Menschen mit den schwierigen Textpassagen:

»Philoktet, in Händen das Schießzeug des Herakles / krank mit / Aussatz ausgesetzt auf Lemnos, das ohne ihn / leer war. Und gewöhnte sich ein, Beherrscher des Eilands, sein / Knecht auch / An es gekettet mit Ketten umgebender Meerflut, von Grünzeug.«

Gut geschult muß die Sprechtechnik und das Sprachempfinden sein, um diese gewaltigen Wortkonstrukte verständlich sprechen zu können. Bei »Rigodon« jedoch geht der Sinn verloren, wer nicht weiß, worum es geht, hat Probleme, dem Text zu folgen. Monoton wird Satz für Satz dahingemauschelt, keine Höhen, keine Tiefen durchbrechen die Eintönigkeit der Darbietung.

Allein Jürgen Pretz als Philoktet gelingt es ab und zu, den Zuschauer aufzurütteln, doch ist er auch nur der sprichwörtliche Einäugige unter den Blinden, der sich ein wenig von dem sehr, sehr faden, hechtgrauen Odysseus (Willy Büsing) und seinem auch nicht weiter aufregenden Partner Neoptolemus (Wolfram Pelzer) absetzen kann.

Zehn Nummern zu groß ist das Stück auch für Regisseur Dirk Steinmann. Außer Textaufsagen passiert nicht viel auf der Bühne. Am Anfang und Ende der Aufführung wird Baustellenbegrenzungsfolie, rot- weiß leuchtend, um den Bühnenraum auf- bzw. Abgewickelt. Das soll wohl der klassische Aktualitätsbezug sein. Mager, mager!

Viel möchte man eigentlich zu dieser Darbietung nicht mehr sagen, lieber das alles verdeckende Mäntelchen des Schweigens darüberhüllen. Und mit Wolfgang Neuss schließen: Üben, üben, üben! Anja Poschen

Fr-So, 21.00, Leuschnerdamm 37b