Walter "Wolfman" Washington

■ Aus einer Zeit, als die Eckzähne vorstanden und das Lächeln etwas Raubtierhaftes hatte

Die Nacht, als ich »Wolfman« zum ersten Mal sah, werde ich nie vergessen. Etwa um zehn Uhr fuhr ich zu Dorothy's Medaillon, einer kleinen Eckbar im Norden von New Orleans. Rechts ein Tresen, links zwei Reihen mit jeweils fünf Tischen, von der niedrigen Decke hingen zwei rote Glühbirnen. Als sich meine Augen ans Dunkel gewöhnt hatten, tastete ich mich nach vorne, wo ich ein Schlagzeug stehen sah, eine erhöhte Bühne gab es nicht. Ich bestellte etwas zu trinken und wartete, spürte, wie mich die Blicke von einem guten Dutzend Schwarzer durchbohrten — ich war das einzige Bleichgesicht im Club. Nach und nach füllte sich die kleine Bar mit Pärchen, meist so um die vierzig, die Ladies in ihren schönsten Ausgehkleidchen. Es war mittlerweile fast zwei Uhr und ich dachte schon, die Anzeige in der Zeitung, die für die Solar System Band warb und mich hierher gelockt hatte, war eine Ente, als es plötzlich unmittelbar vor mir hektisch wurde, innerhalb weniger Minuten ein paar Musiker ihre Sachen ausgepackt hatten, als ein unscheinbarer Typ seine Gitarre einstöpselte und mir in der Schwüle des »Big Easy« erst mal eine Gänsehaut verpaßte. Zwischenrufe von den Gästen, einige Paare versuchten in der Enge zu tanzen zu dem groovigen Soul-Blues von Walter Washington, zu dem sich der Sänger Johnny Adams — auch er eine der unterschätzten Größen dieses Genres! — gesellte.

Seit über zehn Jahren schon traten die beiden dort fast jedes Wochenende auf, obwohl Johnny Adams sogar mit einigen Balladen schon mehrmals in den Charts war. Walter Washington erzählte mir, daß er erst ein paar Singles und eine LP für das Miniatur-Label »Hep Me« (das heißt: kein Vertrieb, kein Umsatz, kein Geld) aufgenommen hätte, daß er vorher jahrelang in der Hausband des bekannten Dew Drop Inn durchreisende Rhythm & Blues- und Soul- Stars begleitet, bei Lee Dorsey auf dessen Hit »Ride Your Pony« mitgespielt hatte und mit Fats Domino auf Tournee war. Warum er Wolfman genannt wurde, brauchte er nicht zu erklären: Er spielte seine Gitarre gerne mit den zwei Eckzähnen, die er oben noch hatte, und die bei unserer Unterhaltung seinem Lächeln etwas Raubtierhaftes gaben.

Als ich Stunden später blinzelnd in die Morgensonne trat, war ich um einen musikalischen Höhepunkt reicher. Zufällig fingen damals gerade die Leute der Qualitätsfirma Rounder an, in New Orleans Platten aufzunehmen, und mußten wohl ebenso berührt gewesen sein, denn mittlerweile gibt es von Johnny Adams vier LPs (drei davon mit Washington) und vom Wolfman selbst drei sowei seit einigen Monaten »Sada« auf Point Blank/Virgin. Als Sänger überrascht Washington, läßt den ganzen Rummel um den Shooting Star Robert Cray vergessen, singt aus den tiefsten Eingeweiden, scheint seine Seele zu zerreißen, jahrzehntelang angestaute Emotionen brechen vulkanartig aus ihm heraus.

Diesen Monat stellt Wolfman seinen Blues und sein strahlendes neues Gebiß auf vielen europäischen Renommierfestivals vor. Anfang letzter Woche wurden er und seine Roadmasters kurzfristig als Vorprogramm für John Lee Hooker ins Tempodrom gebucht. Die draußen vor dem Zelt in den langen Schlangen nach Bier anstanden, haben wirklich etwas versäumt. Sein Blues hat den Biß, der Hooker schon seit Jahren fehlt. Wer also mit dem Wolf tanzen will: nichts wie hin in den Keller an der Kantstraße mit der tropischen Schwüle, authentisch wie in New Orleans... Text + Foto: G.Hessig

Um 22 Uhr im Quasimodo