Hungerbildertapete

■ Was von einer Ausstellung sowjetischer Karikaturen im Parkhotel übrig blieb

Ein Hauch von Krabbencocktail und Lachsröllchen liegt in der Luft. Durch gedämpftes Stimmengemurmel klingt vereinzeltes Klappern von Besteck und Gläsern: Mittagszeit im Parkhotel. Nicht allzu viele Gäste sitzen zu dem Zeitpunkt noch bei ihrem gediegenen Mittagessen. Sie ahnen nicht, daß über ihren Köpfen eine Kunstausstellung hängt.

Auf der Empore des zentralen Rundbaus hat das Parkhotel nämlich sowjetische Karikaturen dekoriert — zwischen Chintzvorhängen und Teakvertäfelung: Stalin unterm Galgen, Gorbatschow mit Würsten und Schinken am Revers, ein Kellner, der einem Bonzen den Fisch nur auf den Teller malt anstatt ihn zu servieren.

„Wir haben einen Querschnitt versucht. Von jedem etwas. Denn der eine malt so, der andere anders“, erklärt Alexander Riehm, der Marketingchef des Hotels, die winzige Auswahl aus über 200 Zeichnungen, die zuvor im Staatsarchiv zu sehen waren. Neben dem Gang zum Zimmertrakt flüchtet ein Liebespaar aus seinem verwanzten Bett vor unliebsamen Beobachtern.

Das Überseemuseum wollte im Rahmenprogramm für „Peter den Großen“ unbedingt die Sammlung zeitgenössischer Karikaturen haben, die als Wanderausstellung seit Sommer vergangenen Jahres in der Bundesrepublik unterwegs ist. Interessenten aus Hamburg konnten erfolgreich ausgebootet werden.

In den Räumen des Museums ließen sich die Spitzen auf den Alltag der Perestroika jedoch nicht unterbringen. Das Staatsarchiv war dankbarer Abnehmer. Allein: Die Ausstellung war zu teuer. 4.000 Mark für ein kritisches Deckmäntelchen zur Prunk- und Protzausstellung über den großen Zaren, das war nicht drin. Eine Art Sponsor wurde gebraucht: Man bot die Zeichnungen dem Parkhotel an.

Und da hängen sie jetzt: auf verlorenem Posten, zur Dekoration verkommen. Im Super-Sonder-Übernachtungs-Angebot im Parkhotel (160,-pro ü/F) sind sie als Paket mit dem Zaren gratis enthalten. Kein Plakat weit und breit kündigt sie an. An der Rezeption weiß keiner Bescheid. „Der Rest hängt im Überseemuseum“, meint eine Empfangsdame, die die Karikaturen für einen Teil der Zarenausstellung hält.

Einen Katalog zur Ansicht oder Hintergrundinformation gibt es nicht im Hotel. Auch nicht im Überseemuseum. Dort kann man am überquellenden Büchertisch zwar russische Kochbücher, Kunstbücher über Ikonen, Bildhauerei und Byzanz kaufen, Taschenbücher über Peter den Großen, Matrjoschkas — die beliebten Steckpuppen in allen Variationen und Preisklassen, ja selbst türkisbestückte Säbel für stolze 4.800 Mark. Rußland satt.

Doch für die Bilder vom Hunger, von den blinden Bettlern, den Unterdrückten und deren Peinigern in Politik, Militär und Bürokratie ist hier kein Platz. Die Künstler hatten mit ihnen den Kopf riskiert. ra