Wie dicht sollen die Türen im europäischen Haus sein?

■ Quoten für Neuankömmlinge? Oder eine Einwanderungspolitik mit dem Bunker / taz-Streitgespräch

Wie soll es weitergehen in der Asyl- und Einwanderungspolitik? Die taz lud zwei in Bremen lebende BürgerInnen aus Nicht- EG-Ländern und zwei bremische PolitikerInnen zu einem Streit- Gespräch: Die iranische Asylbewerberin Gohartaj Daneshvar, den rumänischen Gastprofessor Adrian-Traian Murgan, den grünen Bürgerschaftsabgeordneten Paul Tiefenbach und den Staatsrat in der Sozialbehörde, Hans-Christoph Hoppensack.

taz: Im letzten Monat kamen 650 Flüchtlinge nach Bremen, soviel jährlich. Ist das für Sie eine bedrohliche Situation?

Paul Tiefenbach: Ich fühle mich nicht bedroht. Außerdem würde ich bestreiten, daß die Zahl der Flüchtlinge übermäßig ansteigt. Das kann ich sogar belegen mit einer Vorlage des Senates, in der es heißt, „es liegen keine Hinweise dafür vor, daß wesentlich mehr Flüchtlinge als in den vergangenen Jahren in die Bundesrepublik Deutschland einreisen.“

Tiefenbach

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Das Problem ist, daß die 200.000, die nach Deutschland kommen, in bestimmten Schwerpunktstädten wie Bremen einreisen. Der allergrößte Teil wird aber umverteilt oder ausgewiesen. Die Flüchtlingsfrage wird also gezielt dramatisiert.

Das mit den Bunkern ist ein Versagen der Sozialbehörde, weil man ganz bewußt keine Puffer für die Unterbringung geschaffen hat. Bremen soll für Flüchtlinge unattraktiv werden. Es soll sich herumsprechen, daß man in Bremen unter katastrophalen Bedingungen untergebracht wird.

Hans-Christoph Hoppensack: Die eben zitierte Vorlage war eine Vorausschau, leider aber ist das Leben anders. In der Vorlage ist von monatlichen Zugängen zwischen 300 und 400 die Rede, aber in diesem Monat werden es 800 sein und das geht über unsere Kräfte.

Fühlen Sie sich als Mensch überrannt?

Hoppensack

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Hoppensack: Sie haben mich ja hier nicht als Mensch, sondern als Politiker eingeladen. Ich muß hineinhören in diese Gesellschaft, hören, was sie bereit ist zu ertragen. Die Leute fühlen sich gestört, bedroht und haben Angst. Und ich habe Befürchtungen, daß diese Angst sich schlimm auswirkt.

Ich halte es für völlig unverantwortlich, die deutsche Bevölkerung weiter zu überfordern. Es gibt ein breites Scheunentor mit der Überschrift Asyl, wo die ganze Armut und das Verfolgtsein hereinströmt. Und die Kommunen müssen dann sehen, wie sie damit fertig werden. Es ist nötig, im Grundgesetz die Definition von Asyl zu ändern. Diese 800 Leute, die in diesem Monat als Asylbewerber nach Bremen kommen, sind zu 60 Prozent aus Rumänien, aus Jugoslawien, aus Polen und aus Bulgarien. Das Grundrecht auf Asyl wird massenhaft mißbraucht. Ich bin für eine Korrektur im Grundgesetz- Artikel 16 und eine kalkulierbare Einwanderung. Das heißt, daß wir jedes Jahr eine bestimmte Quote festlegen, die verkraftbar ist, was Arbeitsmöglichkeiten, Wohnungen und Integration angeht. Etwa insgesamt 200.000 und nicht wie in diesem Jahr 500.000 oder 600.000.

Gohartaj Daneshvar: Es tut mir leid, daß wir Ausländer die Leute in Deutschland beunruhigen. Wir suchen eine Zukunft, und ich freue mich über alle, die hier leben können.

Außerdem haben die Industrieländer Schuld daran, daß es in vielen Ländern Unterdrückung gibt, im Iran, im Irak oder in Afganistan. Man liefert Waffen und unterstützt damit unsere Diktatoren.

Erzählen Sie bitte: Warum kommen IranerInnen in die BRD?

Daneshvar: Sie sind in großer Gefahr.Ich wurde aus politischen Gründen verfolgt. 20 Jahr lang habe ich im Iran als Lehrerin gearbeit, hatte ein gutes Gehalt, ein Auto, alles was man braucht. Trotzdem habe ich alles stehen und liegen gelassen, weil ich Angst hatte, ins Gefängnis zu kommen. Warum verzichtet man wohl auf alles? Amnesty hat darüber berichtet, wieviele Menschen Tag und Nacht hingerichtet werden im Iran. Trotzdem sind inzwischen viele Iraner in der Bundesrepublik von der Abschiebung bedroht. Die Medien bei uns berichten bereits: Bald kommen die „Heimatverräter“ zurück.

Auch die Deutschen haben einmal Zuflucht gesucht, vor den Nazis. Ich finde es unmenschlich zu sagen: Hier gibt es schon so viele Ausländer, deshalb wollen wir Euch nicht.

Adrian-Traian Murgan: Ich bin Rumäne, aber ich bin auch ein wenig deutsch, denn mein Großvater war Deutscher. Deshalb versuche ich, diese Probleme ohne Nationalismus zu beurteilen. Meine Meinung ist, daß wir in einer transistorischen Periode sind, in der viele Leute von Osteuropa nach Westeuropa kommen. Fünfzig Jahre nach Krieg, Kommunismus und Diktatur sagen viele Leute: Das Leben ist sehr kurz. Wir wollen jetzt leben.

Wenn eine Demokratie noch am Anfang ist oder eine Marktwirtschaft sich erst noch bildet, finden solche Bewegungen statt.

Ich glaube auch, Europa und die EG machen einen großen Fehler. Osteuropa braucht noch andere Hilfe als Geld. Es geht um eine geistige Hilfe. Tatsache ist, die meisten kennen nicht einmal unsere Geschichte. Sogar in der „Süddeutschen Zeitung“ werden unsere Spitzenpolitiker verwechselt.

Daneshvar: Vor unserer Revolution zum Beispiel hatte Teheran sechs Millionen Einwohner, nach der Revolution waren es zwölf Millionen.

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Iranerin

Teheran ist überbevölkert. Aber was sollten die Leute machen, nach dem Krieg war alles zerstört und der Luxus zieht die Menschen an.

Hoppensack: Ich will den Leuten ja helfen, aber ich halte es für absurd, daß man mit dem Asylrecht die Türen nach Deutschland für Wirtschaftsflüchtlinge öffnet.

Daneshvar: Ja wer macht denn alles kaputt und liefert unserem Chomeini Waffen?

Hoppensack: Da müßte natürlich auch einiges getan werden. Aber die Beschwerden der Bürger hier muß man auch ernst nehmen.

Tiefenbach: Meines Erachtens kommen die Bürgerbeschwerden vor allem wegen der Form der Unterbringung. Wenn Sie 30 Leute in ein kleines Bremer Haus packen ohne jede Betreuung, dann entstehen da unweigerlich chaotische Verhältnisse. Wir haben uns als Grüne dafür eingesetzt, daß das Lloyd-Hotel nicht abgerissen wird. 350 Menschen hätten darin leben können. Aber das Einkaufszentrum am Bahnhof war ja wichtiger.

Hoppensack: In diesem Monat werden wir 800 Leute haben! Sie müssen sich einfach vergegenwärtigen, was es heißt, so viele Leute einzeln und schnuckelig unterzubringen, wie Sie als Grüner das fordern. Das geht nicht mehr. Der gute Ruf Bremens führt zu Folgen, die wir nicht mehr ertragen können.

Tiefenbach:... und deshalb diese Bunker!

Hoppensack: Ich stehe zu dieser Lösung. Aber sie muß eingebettet sein in ein ganzes Paket von Maßnahmen. Zum Beispiel muß man etwas in den Herkunftsländern tun. Zweitens trete ich dafür ein, daß wir die Leute, die hier schon jahrelang sind, nicht raustreiben. Gleichzeitig müssen wir uns für einen Zugangsstopp einsetzen. Deshalb sage ich auch den Rumänen und Polen, was sie hier erwartet, zum Beispiel der Bunker. Ich sage: Kommt dann wieder, wenn wir es aushalten können. Und dann möchte ich ein kalkulierbares Verfahren haben und nicht dieses eruptive Hereinströmen.

Wollen Sie mit dem Bunker eine besondere Sprache sprechen?

Ja. Ich will deutlich zeigen, daß hier eine Grenze nicht nur erreicht sondern weit überschritten ist. Dabei fühle ich mich nicht gut.

Für Sie gibt es also echte und falsche Flüchtlinge?

Hoppensack:Es gibt echte und unechte politische Flüchtlinge. Ich will mich dem Problem öffnen, aber in kalkulierbarer Weise, vielleicht so wie in Italien. Die sagen: Jeder kann kommen, aber er muß sich selbst unterhalten, sich eine Wohnung und Arbeit suchen. Es gibt null Anspruch auf irgendeine soziale Unterstützung.

Tiefenbach: Es gibt viele Leute, die nach der Genfer Konvention Fluchtgründe haben, aber von unserem Asylrecht nicht erfaßt sind. Nach der Genfer Konvention ist etwa die Verfolgung ganzer Gruppen auch ein Fluchtgrund, oder Bürgerkrieg und Hungersnöte, religiöse Verfolgung. Alle die in diesem Sinn echte Fluchtgründe haben, müssen die Möglichkeit erhalten, nach Deutschland zu kommen. Hier darf es keine Quoten geben.

Aber der größte Teil sind Aussiedler. 400.000 im Jahr. Die kommen aus wirtschaftlichen Gründen, das sind für mich keine Flüchtlinge. Obwohl ich den Polen, der in der Bundesrepublik zehn Mal so viel verdient, wie zu Hause, verstehen kann. Ausnahmen sind die Roma. Bei den Zuwanderern, die aus reinen wirtschaftlichen Gründen kommen, könnte ich mir eine Quotenregelung vorstellen.

Wenn man die Zahl der Flüchtlinge verringern will, muß man tatsächlich in den Heimatländern politisch was verändern. Ich bezweifle, daß Minister Möllemann, der jetzt im Iran war, dort die politischen Freiheiten angesprochen hat. Über die Einflußnahme auf die Politik im Iran könnte man auch die Zahl der iranischen Flüchtlinge reduzieren. Auch müßte man sich für ein autonomes Kurdistan einsetzen.

Was sagen Sie beide zu den deutschen Lösungen?

Daneshvar: Man sollte in der sogenannten Dritten Welt helfen und dort den Arbeitsmarkt stabilisieren, die wirtschaftlichen Probleme lösen.

Oder man muß dafür sorgen, daß es in unseren Ländern Demokratie gibt. Wenn zum Beispiel im Iran ein bißchen Demokratie herrscht, wie nach der Revolution wo alle Hoffnung hatten, dann kehren die Menschen zurück. Damals kamen jeden Tag Flugzeuge nach Teheran, die voll Menschen waren aus Deutschland.

Murgan: Ich glaube auch, daß es verschiedene Arten von Flüchtlingen gibt, das ist nicht so einfach. Aber wenn es erst einmal ein echtes europäisches Haus gibt, dann verschwindet auch das Flüchtlingsproblem.

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Rumäne

Vor dem Krieg war Rumänien zwar nicht so entwickelt wie Deutschland, aber in unser Land kamen Italiener, Franzosen, Deutsche, um bei uns zu arbeiten. In zehn bis 15 Jahren wird es sicher wieder eine Menschenbewegung von West nach Ost geben. Aber man muß eine neue Ordnung Schritt für Schritt aufbauen, das dauert seine Zeit. Ich bin dafür, daß in Deutschland die Türen offen bleiben.

Gespräch: Birgit Ziegenhagen und Barbara Debus