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Sein oder Design

■ Erfolgreich und kein bißchen trendy: Kerstin Rossbander, Avantgardedesignerin und Kostümbildnerin

Erfolgreich und kein bißchen trendy: Kerstin Rossbander, Avantgardedesignerin und Kostümbildnerin.

Ein Portrait von CHRISTINE DEGGAU

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n der Weltrangliste der führenden „Createurs“ wird man ihren Namen vergeblich suchen. Auch sind ihre Sachen eher in Kreuzberger als in Pariser Boutiquen zu finden. Doch was heißt das schon?

Kerstin Rossbander ist heute 32 Jahre alt und auf dem besten Weg, in die Fußstapfen ihrer Vorbilder zu steigen. Sie heißen Gaultier oder Vivienne Westwood. „Als ich 15 war, hatte ich schon Fotos von der Westwood überm Bett hängen. Da ahnte ich noch gar nicht, was das heißen kann: Design.“ Als sie 15 war, da lebte sie in Dresden. Und als sie 16 wurde und eitler, da merkte sie, daß sie nichts zum Anziehen fand, das ihr gefiel. Die Mutter einer Freundin erklärte ihr, wie eine Nähmaschine funktioniert, und ab da war Kerstin auf sich allein gestellt. Denn Schnittmuster gab es damals im östlichen Teil Deutschlands nicht zu kaufen. Also war Phantasie gefragt. Und davon hatte Kerstin Rossbander genug. Zehn Jahre später machte sie ihre erste Modenschau.

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ie Wohnung liegt im Parterre einer ruhigen Seitenstraße im Berliner Stadtteil Schöneberg. Chaotisch sieht es hier aus. Zwischen Mitarbeitern und Geschirrbergen, dem Fotografen und Schnittbögen, der neugierigen Journalistin und dem ständig rappelnden Telefon („Steffi, ich hab' keine Zeit. Ich geb' gerade ein Interview!“) thront Kerstin Rossbander. Hager ist sie und groß, mit einem sympathischen Sächseln in der Stimme.

Wir sehen uns eine Videoaufzeichnung an. Kerstin im Fernsehen: gekleidet wie jetzt auch in schwarzem Minirock und T-Shirt. Mit flackernden Augen gibt sie leise, schnelle Antworten auf die Fragen der Moderatorin. Nein, routiniert wirkt sie nicht. Aber sie ist bei der Sache. Bei ihrer Sache, die Mode heißt. Mode, das ist für die Ex-Dresdnerin die Lust an Formen, das Spiel mit Material und Körper. Ob für Mann oder Frau ist ihr egal.

Den Durchbruch brachte ihr ein Mantel voluminösen Umfangs und ungewöhnlichen Materials. „Ich bin an einem Geschäft vorbeigekommen und hab' diesen Schaumstoff im Fenster liegen sehen: der sah aus wie Stein, aber wenn man drauftrat, war er ganz weich. Da wußte ich: aus diesem Material mußt du was machen!“ Das Ergebnis war der Mantel, der heute licht- und luftgeschützt in der hintersten Ecke eines Schrankes aufbewahrt wird. „Wegen mir könnte ihn auch jemand kaufen, aber lieber wäre es mir, ihn weiterzuverwenden. Bei einer Ausstellung, oder für eine Werbeaktion.“

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ie Modelle der Kerstin Rossbander sind keine Haute Couture. Einen Teil der Entwürfe, ihre sogenannten Kleinserien, verkauft sie an Boutiquen. Das sind T-Shirts oder peppige Hosen, asymmetrische Kleider. Den anderen Teil, der, an dem ihr Herz wirklich hängt, präsentiert sie auf avantgardistischen Modenschauen und Messen. Mit Erfolg. Zwei erste Preise hat sie dieses Jahr schon eingeheimst.

Glitzerviskose und gefärbte Teppiche, Kaninchenfell und Böschingsmatten: Kerstin Rossbander ist für alles offen. Unter ihren Händen gehen die ungewöhnlichsten Materialien die verrücktesten Verbindungen ein. Seidenkleider mit Ausschnitten bis zum Bauchnabel werden von schweren Decken oder Schaumstoffcapes bedeckt. Hauteng und durchsichtig weit, asymmetrisch und klassisch — für Kerstin Rossbander gibt es Widersprüche nur, um sie aufzulösen.

Daß Kerstin Rossbander dahin gekommen ist, wo sie heute steht, verdankt sie wohl vor allem einer gehörigen Portion Naivität. Wie hat sie es geschafft, als Hobbyschneiderin ohne Ausbildung Kostüme für die Sächsische Landesbühne entwerfen zu können? „Wir in der DDR hatten Geld, und wir hatten Zeit. Und wir hatten keinen existentiellen Druck, wie man ihn hier hat. Dazu kommt, daß Dresden ein Dorf ist. Da gibt es fünf Kneipen, in die mußt du halt gehen, wenn du abends noch mal raus willst. Und da sind sie dann auch alle: die Maler und Filmemacher, die Designer und Musiker.“ Ohne Scheu mischt sie sich dazwischen. Und bald schon wird man auf sie aufmerksam. 1985 entwirft sie das erste Mal Kostüme fürs Theater. Sie reist — nach Prag, Budapest, Warschau. Und guckt. Und träumt — von Italien. Unter den Künstlern in Dresden setzt ein Ausreiseboom ein. 1986 verläßt die junge Designerin gemeinsam mit Freund und dem gemeinsamen Kind als letzte der Clique die Heimatstadt. Es ist weniger die politische Gewalt, die sie außer Landes treibt, als vielmehr das Grau des Alltags, die fehlende Freiheit. „Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht kennt. Das Grau ist nicht nur in der Kleidung und auf den Häuserwänden — es ist auch in den Köpfen, es ist überall. Die Stasi-Verhöre, das Gemiedenwerden, nachdem wir die Ausreise beantragt hatten, das war nicht schlimm. Sie konnten uns nichts mehr anhaben. Meine schönsten Sachen sind in den zwei Jahren entstanden, während wir auf die Ausreise gewartet haben.“

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ie erste Zeit in West-Berlin ist vor allem von Unsicherheit geprägt. Die erste Zeit — das waren anderthalb Jahre. „Das Ganze war eine einzige Wirrnis. An Mode traute ich mich noch nicht ran. Wie sollte ich auch mit dem Material umgehen können, wo ich noch nicht einmal wußte, wie man hier im Westen lebt?“ Sie macht eine Hospitanz an der Berliner Schaubühne, „nur um das Material mal kennenzulernen, im Fundus zu wühlen“, doch die Frage „was nun?“ bleibt. Ein Berliner Kunstprofessor, dem sie ihre Sachen zeigt, damit ihr mal jemand sagt, ob ihre Ideen gut genug für westliche Ansprüche sind, macht ihr Mut, gibt ihr Adressen. Und auf einmal geht alles ganz schnell. Sie bekommt eine Hospitanz in Hamburg unter Peter Zadek am Deutschen Schauspielhaus. Das wird ihre Lehrzeit werden. Nach anderthalb Jahren geht sie — ernüchtert von der hanseatischen Kühle und mit an westlichen Maßstäben geschultem Blick — zurück nach Berlin. Sie bekommt Aufträge an Theatern, Einladungen zu Modeschauen.

An vielen namhaften Theatern hat Kerstin Rossbander inzwischen schon mitgemischt, mit Regisseuren wie Luc Bondy, Peter Zadek und Hans Neuenfels zusammengearbeitet.

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eben den Arbeiten für ihre nächste Modemesse im litauischen Riga liefen in den letzten Wochen die Vorbereitungen für eine Performance auf vollen Touren. Das „Kosmotellurische Ballett“, wie es sein Urheber A.R. Penck, der ehemalige, mittlerweile zu internationalem Ruhm gelangte Dresdner Maler, nennt, erfordert nicht nur Schneiderkünste. Mit Stahlkonstruktionen und heliongefüllten Ballons, Gummikostümen und Schläuchen wurden seine auf Zettel hingeworfenen Ideen vom Team Rossbander & Co umgesetzt. Uraufführung war anläßlich der Rejoyceing-Tage in Berlin. Für Kerstin Rossbander ist die Möglichkeit, mit Penck zusammenzuarbeiten, in jeder Hinsicht eine Chance. Bürgt schon allein sein Name unter Kunstverständigen für Qualität, kann sie sich in seinem 300 Quadratmeter großen Atelier (ihre eigene Werkstatt ist ein 12 Quadratmeter großes Zimmer in ihrer Wohnung) im Stadtteil Wedding endlich einmal richtig austoben.

Kerstin Rossbander hat es geschafft. Fast. Zwar kann sie von ihren Sachen noch nicht leben, doch ist sie zuversichtlich. Und Geld ist schließlich auch nicht alles. Wenn sie sich heute entscheiden müßte, für ein Leben als Designerin oder als Kostümbildnerin, würde sie eines von beiden aufgeben können? „Nein. Meine Angst ist immer, daß etwas zur Routine verkommt. Und so, wie ich es zur Zeit mache, fürs Theater und für Modemessen zu arbeiten, bleibt mir beides erhalten.“

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