Die Avantgarde des Mittelmaßes

■ Berlin als Modestadt scheint ausgedient zu haben. Kreative Impulse der Modemessen der achtziger Jahre sind längst in provinziellen Querelen versackt.

Berlin als Modestadt scheint ausgedient zu haben. Kreative Impulse der Modemessen der achtziger Jahre sind längst in provinziellen Querelen versackt. Von JOHANNA BEHREND

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ls „Deutschlands schrillste Modemesse“ bezeichnete der 'Spiegel‘ die Münchner Modemesse „Avantgarde“, die im vergangenen Herbst mit viel Tamtam über die Bühne ging. Die Lust an der Verkleidung einerseits und das Zitieren längst abgehakter Modeströmungen andererseits blieben jedoch der einzige Eindruck. Innovatives wurde vergeblich gesucht, die Entdeckung des deutschen Pendants eines, sagen wir, Gaultier blieb aus. Deutsche Mode — so langweilig, solide und fern jeglichen ästhetischen Höhepunkts, Schulterzucken bleibt noch die freundlichste Reaktion.

Daß hierzulande keine trendsettende Mode zu Ruhm und Ehren kommt, liegt beileibe nicht an mangelndem Talent junger Designer und Designerinnen. Woran es mangelt, sind risikofreudige Konfektionäre, die einen Riecher für Trends haben und das nötige Know-how, um sie gewinn- und publikumsträchtig zu präsentieren. Und es fehlt gerade dort, wo bislang die frechste Mode kreiert wurde, nämlich in Berlin, an Könnern, die jene schrillen Kreationen auf gut organisierten Messen zu Markenartikeln und Trendsettern machen.

Die lange Zeit einzige Modemesse Berlins, die zumindest Erwähnung auf den Lokalseiten fand, war die „Durchreise“. Jedoch erinnerten Präsentation und Modelle wohl mehr an Kaufhausboutiquen, eine taz-Kolumnistin merkte 1985 an, daß sie in „den meisten Modellen der Durchreise nicht tot gesehen werden“ wolle. West-Berlin, trotz eines traditionell guten Rufes als Modestadt, rutschte ins Provinzielle ab. Und dennoch wurde in dieser Stadt die Off-Mode publik gemacht, als sich im Frühjahr 1983 die „Anti- Chic“ präsentierte. 17 Designerinnen und Designer beschlossen, eine Gegenveranstaltung zur biederen Berliner „Interchic“ zu präsentieren. Nur wenige Jahre später wurde die „Anti-chic“ zur „Off-Line“, wurde salonfähig und in die Modemesse „Durchreise“ integriert. Immerhin konnten damals schon 100 Designerinnen und Designer ihre Kreationen einem begeisterten Publikum präsentieren, das mit jedem Jahr wuchs. Hoffnung auf ein Revival Berliner Modekunst keimte auf. Vergebens. Mißmanagement und persönliche Querelen der Veranstalter ließen die mittlerweile vielbeachtete „Off- Line“ ins Zwielicht geraten. Der Publikumsschwund und der Verlust des Charmes des Innovativen wurde durch die „Ave“, die neue Off-Off- Modenschau, die 1988 ihre Show in der Osloer Fabrik im Wedding vorstellte, endgültig besiegelt. 1990 ging die „Off-Line“ in Konkurs. Die „Ave“ blieb jedoch lediglich Show, eine Verkaufsmesse für junges Design wollte sie in diesem Sinne auch gar nicht sein.

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ine dritte Messe versuchte nun, die Lücke der „Off-Line“ zu füllen. Doch der Elan der „Intensiv“, die sich aus unzufriedenen Ausstellern der „Off-Line“ zusammentat, reichte nur eine Saison lang. Auch sie ging pleite, und ihre Macher lagen sich schließlich ebenfalls in den Haaren. Die geplante Frühjahrsmesse 1991 fand schon gar nicht mehr statt.

Ein weiterer Veranstalter sprang nun in die Bresche und kreierte 1990 die „Fashion“. Doch Off-Mode im engen Sinn war und ist hier nicht geboten. Mit einem Auge schielt Messe- Macher Peter Bloch bereits auf das Establishment. Was nicht unbedingt das Schlechteste ist, braucht doch gerade die etablierte Modeszene Berlins einige kräftige Impulse, um das bieder-elegante Image abstreifen zu können.

Doch viele Modemessen machen noch lange keine Modestadt aus Berlin. Der Ruf der Messen ist längst perdu. Diskontinuität und die schon obligatorischen Querelen langweilt nicht nur kommerzielle Aufkäufer, sondern auch das neugierige Publikum. Dessen ungeachtet kreierte der Österreicher Robert Scheu, der schon für die alte „Off-Line“ die Schauen in Hamburg und Frankfurt organisiert hatte und mit einer österreichischen Variante der Off-Line in Wien respektablen Erfolg erzielte, eine weitere Modemesse, die „Select“. Seine Show stellte er unter das Motto „Weg vom Trend“, was mit Sicherheit für die jungen Designer verkaufsfördernd sein mag, sind es doch immer nur einige wenige, die es wagen, avantgardistische Mode zu kaufen und zu tragen. Doch das Fehlen des Schrillen, das, was einen Trend aufzeigt und als zukunftsweisend zu betrachten ist, bringt die Modeszene Berlins nur wieder auf das gewohnte Mittelmaß. Solange dieses vorherrscht, wird man vermutlich doch wieder nur München als trendsettendes Nest der Mode-Avantgarde betrachten können.