Eine kleine Einflußnahme

■ Ein Gespräch mit Nele Hertling über »Olympia 2000«, ihre »Olympia-Werkstatt«, über die Dienstbarmachung von Kunst, über die Auseinandersetzung mit den Orten und Ereignissen von 1936 und die düstere Berliner Zukunft

taz: Frau Hertling, wie stehen Sie persönlich zu Olympia in Berlin?

Härtling: Ich bin da gespalten. Als privater Mensch finde ich das nicht so eine gute Idee, weil ich denke, die Stadt ist schon genug überlastet mit sensationellen Dingen, die hier hereinkommen. Aber auf der anderen Seite weiß man, daß man solche Ereignisse braucht — einfach aus pragmatischen, finanziellen und infrastrukturellen Gründen. Ich hoffe nur, daß es gelingt — wenn man so etwas schon bejaht — dann auch umzusetzen, was man damit als Politik verbindet.

Ich habe den Eindruck, daß fast alle Leute, die an der Olympia-Werkstatt mitarbeiten, persönlich nicht hinter Olympia 2000 stehen. Ist es da nicht absurd, wenn ausgerechnet die das Kulturprogramm machen?

Wir machen ja nicht das Programm für Olympia, sondern wir versuchen etwas anderes: Wir haben die Meinung, daß es nichts nutzt, über bestimmte Dinge, die man nicht ändern kann, zu motzen und zu meckern. Wenn man an seine Profession glaubt, dann glaubt man ja auch immer, daß man damit etwas bewirken kann. Das heißt nicht unbedingt, gleich die Welt verändern zu können, aber in Dinge hineinzugehen, wo man dann doch zumindest einen gewissen Einfluß nehmen kann. Und in dem ganz kleinen Bereich, in dem wir arbeiten — obwohl ich mir da keine Illusionen mache — können wir wenigstens die Fragen kritischer stellen, als dies vielleicht andere Institutionen tun würden.

Liegt hier nicht eine der avanciertesten Formen von Zensur vor? Die funktioniert ja kaum mehr über Scheren oder Befehle, sondern über die Schiene der staatlichen Themenvorgaben und wofür dann Geld bereitgestellt wird. Konkret: Hier werden erst mal eine ganze Menge guter Leute für lange Zeit gebunden, die sich mit Sport beschäftigen anstatt mit den Themen, die sie selbst interessieren.

Ich glaube nicht, daß sie sich mit Sport in dem Sinne beschäftigen, sondern mit der Frage der Verführbarkeit durch Machtstrukturen. Das gehört auch zum Thema Sport und Kultur. Das ist ein Punkt, mit dem wir uns bewußt beschäftigen, wo wir Bewußtseinsprozesse in Gang setzen können. Die Olympiade 1936 ist für uns der Ausgangspunkt. Hier versuchen wir aufzuzeigen, wie sehr gutgläubige Leute etwa in der Musik oder in der deutschen Ausdruckstanzbewegung — und das waren ja wirklich keine Faschisten und Blut-und-Boden-Anhänger — von der Olympiapolitik und der faschistischen Ideologie vereinnahmt und benutzt worden sind, bevor sie später verboten wurden. In einer bestimmten Phase ist eine ganze Kunstrichtung verändert worden, ohne daß sie selbst es gemerkt hat. Man muß Kunst und Künstlern diesen Prozeß bewußt machen und sie stärken gegen Verführbarkeit. Das ist unser Ansatz, nicht die Beschäftigung mit Sport in seiner leistungs- und finanzorientierten Form.

Die Bewußtmachung von dem, was 1936 passiert ist, ist ja sehr rühmlich, zumal das Olympia-Büro es ja fertiggebracht hat, diesen Themenkomplex in ihrer Werbeschrift mit einem Halbsatz zu erledigen. Aber der Mißbrauch von Kunst 1936 ist eine Geschichte. Die andere — auch aktuelle — Frage ist doch grundsätzlicher: Wie verhält sich Kunst überhaupt — auch jetzt wieder — zu solchen Supermachtstrukturen wie Olympia, wo ja mediale, politische und wirtschaftliche Macht kulminieren?

Ich würde nie sagen: Kunst stellt sich in den Dienst einer Sache. Jedenfalls würde ich da nicht mitmachen. Sondern ich bin der Meinung, daß man alle Kräfte mobilisieren muß, um das In-den-Dienst-Stellen zu verhindern. Natürlich passiert Kunst nicht außerhalb der Gesellschaft und außerhalb der Prozesse, die dort stattfinden — auch wenn manche denken, sie könnten sich raushalten, was ich für falsch halte. Unser Ansatz ist also der: sich nicht in den Dienst stellen und vereinnahmen lassen und aufzugreifen, was nicht zu verhindern ist, um von innen selbst daran zu drehen. Das ist zunächst nur in einem kleinen Umfeld möglich. Aber ich glaube, daß man diese Art von didaktischer Aufklärungsarbeit mit Kunst durchaus leisten kann. So haben wir ja auch von Anfang an — seit 1988 — die Arbeit der Werkstatt verstanden.

Stichwort Aufklärung: Im Vorwort zur gerade erschienen Nullnummer Ihres Olympia-Journals tauchen wieder Begriffe auf wie »Faszination Olympia«, es ist von »Themen wie Rausch, Kult und Ritual« die Rede — ich finde, diese ausgesprochen antiaufklärerischen Begriffe sind diskreditiert.

Aber es nutzt ja auch nichts, sie zu umgehen — man muß sie neu besetzen.

Wie kann man mit solchen Begriffen wie »Faszination, Rausch und Geschwindigkeit« konkret umgehen? Wie bearbeiten sie die?

Wir befinden uns da noch am Anfang. Aber der Begriff »Faszination« trifft einfach zu für Olympia. Massenereignisse haben diese Sogkraft, der man sich manchmal nicht entziehen kann. Worum es uns geht, ist, hier Einzelereignisse dagegen zu setzen, um deutlich zu machen, daß die Faszination an sich keine Qualität ist, sondern eben mißbrauchbar ist, und daß es künstlerische Vorgehensweisen gibt, die sich durchaus mit einer solchen Thematik auseinandersetzen, die aber eine ganz andere Beteiligung des Betrachters notwendig machen und Auseinandersetzung provozieren. Konkret wollen wir versuchen, mit den unterschiedlichsten Veranstaltungsformen uns dem Thema zu nähern. Angefangen bei sehr theoretischen und intellektuellen Gesprächen zum Thema mit Künstlern und mit Politikern oder auch beispielsweise in einer Diskussion zwischen Heiner Müller und Boris Becker. Auf einer anderen Ebene wollen wir die — in unserem Sinne — falsch besetzten Orte wie beispielsweise das Olympia- Stadion mit ganz anderen Veranstaltungen belegen, um damit den vorsichtigen Versuch zu machen, Orte auch anders zu sehen und zu definieren und vielleicht auch diesen Rauschzustand, der aus der Massengeschichte kommt, umzudeuten. Ich erinnere nur daran, daß Klaus Michael Grüber vor vielen Jahren versucht hat, im Olympia-Stadion Hölderlin zu inszenieren — das hatte genau diesen Effekt.

Betreiben Sie da nicht ganz einfach eine Art Neutralisierung: böser Massenwahn am einen Tag und am nächsten am selben Ort gute Reflexion, die unmittelbar entgegengesetzt wird, auf daß eine Balance hergestellt wird?

Das wird nicht unmittelbar entgegengesetzt. Unser Ansatz wird ja kaum in das Olympia-Jahr hineingehen. Im Jahr 2000 werden andere Leute das Kulturporgramm machen. Wir werden ja höchstens die nächsten zwei, drei Jahre an diesem Vorprogramm arbeiten können, länger wollen das die Politiker wahrscheinlich auch gar nicht. Und in dieser Zeit können wir versuchen, in den Köpfen Weichen zu stellen. Weiter kann das gar nicht gehen.

Was wird ihrer Meinung nach passieren, wenn 1993 die Entscheidung für Berlin fällt.

Dann wird es die spektakulären Großveranstaltungen geben — ich bin da ausgesprochen pessimistisch. Diesmal waren wir ja noch ausdrücklich mit der Kulturverwaltung auf einer Seite und sogar mit der Olympia- GmbH haben wir gemeinsam für die Umsetzung unseres Projekts gekämpft — das war eine ganz neue Erfahrung. Wir machen etwas Unspektakuläres, und normalerweise werden die Gelder für spektakuläre Ereignisse bewilligt. Ich glaube, daß man gemerkt hat, wie stark die Werkstatt dadurch gedeihen konnte, daß sie die ganze Berliner Szene erfaßt hat.

Das ist ja der Witz: Der Kultursenator hat gemerkt, daß man in der Berliner Bevölkerung, wie er sagte, Akzeptanz für Olympia schaffen muß. Und die kriegt er durch die Werkstatt, die stark an die Berliner Szene gebunden ist. Das ist ja nicht verwerflich, aber klar kalkuliert.

Trotzdem gab es in der Verwaltung lange Zeit Vorbehalte gegen uns, und ich war erstaunt, wie wir jetzt mit den Beamten und der Olympia GmbH zusammen arbeiten konnten.

Wie lief die Zusammenarbeit mit der Olympia-GmbH konkret?

Am Anfang war im Olympia-Büro ein junger Sportwissenschaftler, der sich sehr ernsthaft und sehr detailliert mit unserem Ansatz auseinandergesetzt hat, sich nach und nach davon überzeugen ließ und uns dann auch unterstützt hat.

Wann sind denn da die ersten Gespräche gelaufen?

Ungefähr vor einem Jahr. Und dann haben wir darüber unendlich lang intern diskutiert, ob wir das wollen, ob wir das können. Dann mit den Beamten. Dann haben wir ein Konzept gemacht, es wieder geändert usw. Einer der schwierigen Ansätze, worum sich immer alle offiziell drücken wollten, war eben die Auseinandersetzung mit 1936. Das war unser Einstieg, und da mußten wir sehr lange miteinander handeln — aus der Sicht der Beamten aus praktischen Gründen, weil die immer gesagt haben: Damit kommt ihr nie durch und kriegt nie das Geld, was ihr eigentlich braucht. Wir haben es dann aber nach langen Diskussionen doch bekommen.

Ab Herbst dieses Jahres soll für Olympia ein internationaler Kulturbeirat eingesetzt werden. Was halten Sie von dieser Idee?

Es kommt darauf an, wer da drin ist. Aber zunächst ist das ein Versuch, des Kultursenators, der Kultur wieder eine Stimme zu verschaffen. In den Jahren, als es uns gutging, hatte man sehr viel Geld und anscheinend überall Verständnis für die Kultur — man lebte in der Illusion, Kultur hätte sich in ihrer Bedeutung durchgesetzt. Jetzt wird das Geld knapper, die Probleme größer, und man kann überall merken, daß schon das Wort Kultur verschwindet. Die Kultur ist nicht mehr präsent. In den Gremien und allem, was gegründet wird, kommt Kultur überhaupt nicht vor. Auch in dem großen Olympia-Gremium beim Regierenden Bürgermeister war der Kultursenator zunächst überhaupt nicht vertreten. Darauf gibt der Kultursenator jetzt mit dem Kulturbeirat Antwort in dem Versuch, ein Gremium mit Kulturmenschen, die denken können, überhaupt erst mal einzubringen in die Gespräche. Das ist ein bischen dem ähnlich, was wir versuchen: Die kritischen Gegenfrager zu uns zu holen.

Der Kultursenator hat soeben siebenhunderttausend Mark für die Olympia-Werkstatt für dieses Jahr bereitgestellt. Ist das mehr als im letzten, als sie nur Werkstatt wurden?

Für die Bereiche Musikwerkstatt, Geschichts- und Tanzwerkstatt und Bildende Kunst hatten wir im ersten normalen Jahr nach dem Europäischen Kulturstadtjahr 700.000 Mark. Im letzten Jahr war es dann schon sehr kritisch und in diesem Jahr ist es lächerlich: Jetzt liegen wir noch unter 700.000 inklusive aller Personalkosten. Davon werden die Sommerakademie, ein Teil des Tanzprojektes, die ganze Musikwerkstatt und eine öffentliche Präsentation der verschiedenen Projekte im September bezahlt.

Heißt das, es hätte ohne Olympia in diesem Jahr kein Geld für die Werkstatt gegeben?

So ist es. Die Hofkonzerte hätte es gegeben, denn sie sind von Schultheiss finanziert, und auch die Tanzwerkstatt ist seit letztem Jahr vom Parlament grundsätzlich als förderungswürdig anerkannt worden, so daß sie jetzt 200.000 DM bekommt. Was also jetzt im Sommer bei der Tanzwerkstatt passiert, ist außerhalb der Olympia-Mittel. Das Geld für das, was im Herbst an Tanz weiter veranstaltet wird, kommt dann aus dem Olympia-Ansatz. Und obwohl die Olympia-Werkstatt auf drei Jahre angelegt ist, ist das nächste Jahr noch gar nicht gesichert. Dabei sind alle Projekte — außer der Sommerakademie — so konzipiert, daß sich erst im Laufe dieser Zeit der Erkenntnisprozeß entwickeln soll. Im Tanzbereich beispielsweise wollen wir die Studios und Sportstadien, wo in den zwanziger Jahren Ausdruckstanz und Gymnastik gepflegt wurde, wieder aufsuchen. Viele Leute wissen gar nicht, daß es da noch viele Orte in der Stadt gibt, die mittlerweile in anderer Nutzung sind. Geplant ist eine Dokumentation der Orte, an denen dann 1936 die Verbindung von Politik, Faschismus, Kultur kulminierte. Wir wollen erforschen, was dort stattgefunden hat, sie fotografisch und essayistisch aufarbeiten, eine kleine Ausstellung machen, vielleicht auch ein Buch. Nach und nach wollen wir so die Stadt Berlin über diese Orte noch einmal neu definieren — was hat 1936 wo stattgefunden, wie ist es dazu gekommen, wo sind die Tänzer, die da aufgetreten sind? Der zweite Schritt wäre im nächsten Jahr, an international namhafte Choreographen Aufträge zu erteilen, sich mit den jeweiligen Orten kreativ auseinanderzusetzen, so daß dann Ende 1993 eine große Ausstellung, ein Buch da sein könnte und an ausgewählten Orten Ereignisse stattfinden, die bewußt auf diese Orte zugearbeitet wurden. Es wäre ein Jammer, wenn wir damit vorher aufhören müßten.

Wäre das dann auch das Ende der Werkstatt überhaupt?

Das denke ich schon.

Wie ist generell ihre Zukunftsprognose?

Sehr kritisch. Vom rein finanziellen her gesehen: Der Finanzbedarf in dieser Stadt ist unendlich. Wenn beispielsweise im Osten die westlichen Baubestimmungen greifen, können sie die Theater alle zumachen. Der Zuschußbedarf generell ist derartig hoch, daß ich glaube, daß es gerade noch gelingen wird, die Institutionen einigermaßen über die Runden zu bringen, aber ich bin sehr skeptisch, was die freie Szene betrifft. Ich sehe nicht, daß da in den nächsten Jahren irgend etwas besser werden können. In fünf, sechs Jahren werden wir hier ein sehr hohes Steueraufkommen haben, aber wenn wir nicht aufpassen, wird die Kultur aus dem Bewußtsein geschwunden sein.

Dann halten Sie nichts von dem Gerede von der Metropole und der Wiederkehr der zwanziger Jahre?

Nein. Es ist ja eine Binsenweisheit, daß die zwanziger Jahre auf der Krisensituation der Stadt gewachsen sind...

...sie gingen ja auch sehr schlecht aus. Der Vergleich ist ja schon fast makaber.

Ja, ich finde auch, das ist ein sehr schlechtes Vorbild — ich halte davon gar nichts. Auch das ist ein Thema, an dem wir arbeiten: Was ist die Qualität einer Metropole? Hat Berlin diese Qualität? Ich meine nicht. Interview: Gabriele Riedle