Die Choreografie der Knochenbrecher

■ Mit „Die 36 Kammern der Shaolin“ setzt das ZDF seine Reihe über den beliebten Kampfsport fort

Im Anfang war die Faust. Und die Faust gehörte Bruce Lee. Für den „Eastern“ gibt es keine andere populäre Identifikationsfigur. Der „kleine Drache“, in Honkong als Sohn eines chinesischen Schauspielers aufgewachsen, machte sich bereits als Kinderdarsteller einen Namen (Lee Siu Loong), bevor er mit 18 nach Amerika ging. Als maskierter Chauffeur Kato zeigte er in der TV- Krimiserie Das Geheimnis der grünen Hornisse 1966 der breiten Masse erstmals, was eine gelbe Handkante ist. Die körperliche Versiertheit brachte ihm den lukrativen Nebenjob als Privattrainer für Steve McQueen, Elke Sommer und James Garner ein. Während eines reichlich überaktiven Auftrittes in der Chandler-Verfilmung Marlowe zerlegte er das Büro des späteren Detektiv Rockford.

In der britischen Kronkolonie Hongkong hatten die aus China eingewanderten Shaw Brothers inzwischen das fernöstliche Hollywood aus dem Boden gestampft. Ihre Innovation bestand darin, das in der Automobilindustrie seit Ford erfolgreich angewandte Fließbandprinzip gnadenlos auf die Filmproduktion zu übertragen. Seinen großen Durchbruch erzielte der Individualist Lee nach seiner Rückkehr folglich erst mit einem ehemaligen Shaw-Mitarbeiter, Raymond Chow, der in Hongkong erstmals auf eine starke Persönlichkeit mit eigener Identität setzte und Lee mit nur vier Filmen — es sind wirklich nur vier — zum „gelben Clint Eastwood“ stilisierte.

Vergessen ist heute, daß die Rolle des Bahnarbeiters Kwai Chang Caine für die (derzeit in Sat 1 wiederholte) TV-Serie Kung Fu eigentlich Bruce Lee auf den Leib geschrieben wurde. Im letzten Moment entschieden die Produzenten jedoch, daß der amerikanische Markt noch nicht reif war für einen asiatischen TV-Star, so daß die Rolle mit David Carradine umbesetzt wurde.

Ausgelöst durch seinen frühen Tod mit 32 am 20. Juli 1973 (in seinem Blut fand man Spuren von Mariuhana), erzielte der weltweite kommerzielle Erfolg Lees mystische Züge. Der Fließbandmechanismus der in Hongkong zahlenmäßig (nach Indien) zweitgrößten Filmproduktion der Welt griff erst richtig. Die Inflation der „Eastern“-Welle sorgte mit einer seriellen Flut von Bruce- Lee-Imitaten für deren schlechten Ruf. Den will das ZDF mit seiner Kung-Fu-Reihe korrigieren.

Unter dem korekten Titel: Die Faust des Rächers (früher fälschlicherweise: Todesgrüße aus Shanghai) zeigen die Mainzer am 3. August das neu synchronisierte, von Dieter Labenski restaurierte Original von 1972. Vor dem Hintergrund der japanischen Besatzung Chinas wird der Niedergang einer chinesischen Kampfschule durch das unbeherrschte Talent eines seiner Schüler (Lee) erzählt. Die im Mittelpunkt stehenden Kampfszenen faszinieren durch die bis heute unnachahmliche choreographische Virtuosität Bruce Lees, die durch geschickte Schnitt- und Montagetechnik noch eindringlicher dargestellt wird. Lee verbreitete sein unvergleichliches Charisma aus Naivität, Askese und ständig vor der Explosion befindlicher Angespanntheit. Zusammen mit dem überrealistischen Soundtrack, der das Stakkato der Schläge mit Lees berühmtem Miauen in einen balletartigen Rhythmus steigert, gleicht das Ganze weniger einer Wirtshausschlägerei als einer sublimen Kampfoper. Die dem Eastern vorgeworfene Brutalität ist nur ein Medium der Musikalität. Außerdem liefert dieser Film den letzten Beweis, daß Bruce mit seiner „unsichtbaren Faust“ tatsächlich schneller ist als die 24 Bilder pro Sekunde, mit denen der Kinematograph seinen Schlagkombinationen hinterherhechelt.

Um eine rechte Vorstellung von der ostasiatischen Kampfphilosophie zu gewinnen, müssen wir heute noch einmal Die 36 Kammern der Shaolin passieren. Ein chinesischer Student wird von Shaolin-Mönchen zum Kung-Fu-Meister ausgebildet und gibt sein Können ans Volk weiter, damit es die despotische Fremdherrschaft abschütteln kann. Dieser Klassiker aus der Produktionsägide der Shaw-Brothers überzeugt durch seine bemerkenswerte Selbstthematisierung des Genres sowie durch seine ausführliche Darstellung der Ausbildungsmethoden. Einem „14jährigen Niederbayern“, heißt es im 'Spiegel' (17/1991), sei es nach den „36 Kammern“ schon ein bißl komisch zumute gewesen, weswegen er auf dem Heimweg ein 18jähriges Mädchen „mit zahlreichen Messerstichen“ tötete.

Auf Die 36 Kammern... folgt das das Explotationstück Hurra, die Knochenbrecher sind da (am 20.7.); Kung Fu — Die Tochter des Meisters (am 27.7.) und Duell mit harten Fäusten (am 17.8.) aus der Volksrepublik China setzen den Hongkongprodukten eine eigene Version des Kampfsportes entgegen. Die Reihe schließt mit zwei frühen Regiearbeiten des Bruce-Lee-Nachfolgers Jackie Chan, Der blindwütige Drachenheld (am 10.8.) und Kleiner, laß die Fetzen fliegen (am 31.8.), der das Genre mit großem finanziellen Erfolg aber schwankender Qualität in die Komödie überführte. Manfred Riepe