ABSEITS VOM GROSSEN STROM

■ Fünfzehn Gemeinden im österreichischen Strudengau versuchen mit einem integrierten Tourismuskonzept, RadlerInnen vom Donau-Radwanderweg ins Mühlviertel zu locken

Fünfzehn Gemeinden im österreichischen Strudengau versuchen mit einem integrierten Tourismuskonzept, RadlerInnen vom Donau-Radwanderweg ins Mühlviertel zu locken.

VONGÜNTERERMLICH

Ein doppelstöckiger Reisebus verstopft den kleinen Stadtplatz des 500 Jahre alten Donauschifferstädtchens Grein. Prompt eilt ein aufmerksamer Polizist herbei und veranlaßt den verdutzten Fahrer, sein Gäste-Mobil anderswo zu plazieren. Schmunzelnd und mit Wohlwollen verfolgen die Gäste auf der Straßenterrasse der Kaffeesiederei „Blumensträußl“ diese Umsetzungsaktion. Von ihrem Dress her Radlersleut', die einem Most, einem Apfelsaft oder einem Radler zusprechen.

Der intime Platz mit dem Brunnen in der Mitte, seinen alten verzierten, in zarte Pastelltöne getauchten Wohnhäusern und Gasthäusern und seinem schnuckeligen Stadttheater von 1791 im Rokokostil ist ein Kleinod. In dieser filmreifen Kulisse regiert das Rad: Die zahlreichen Radständer sind alle belegt, deshalb müssen die Hauswände für die anlehnungsbedürftigen Zweiräder herhalten. Trotz der schwülen Mittagshitze herrscht Betriebsamkeit wie auf einem Bahnhof. Radlerinnen und Radler alleine, paarweise oder in Gruppen fallen ein, gönnen sich eine Verschnaufpause, studieren die Tourenkarte, kaufen lokale Ansichtskarten oder suchen Quartier für die Nacht.

Boomender Radtourismus

Grein ist eine der zentralen Stationen für die geschätzten 120.000 Pedaleure, die den Radwanderweg Passau-Wien in einer knappen Woche, immer entlang der schönen blauen Donau, jedes Jahr befahren. Seitdem der Donauradweg 1987 fertiggestellt wurde, prosperiert der Fremdenverkehr entlang des Flusses. Allein im kleinen Grein (2.800 Einwohner) machen die Radlerinnen und Radler schon mehr als die Hälfte der 40.000 Nächtigungen aus.

Wie können wir diese Goldader des boomenden Donau-Durchgangstourismus anzapfen, fragten sich einige Bürgermeister und Tourismusobleute im strukturschwachen Strudengau, und die Donauradler zu einem Abstecher in unser schönes Hinterland abseits des großen Stroms und der massentouristischen Strömung locken? Für die geographisch nicht ganz so Sattelfesten: Der Strudengau ist die Bezeichnung für das Donauengtal östlich von Grein im südöstlichen Mühlviertel im Bundesland Oberösterreich. Mächtige Felsen im Flußbett der Donau verursachten früher solch gefährliche Strudel und Wirbel, daß sie für manchen Schiffer und Flößer zum tödlichen Himmelfahrtskommando wurden. Heute sind die Felsen längst aus dem Wasserweg gesprengt, ist die Donau durch das erste Kraftwerk Ybbs aufgestaut.

Behutsame Nutzung der regionalen Ressourcen

Fünfzehn Gemeinden der „Ferienregion Donauland Strudengau“ haben sich vor zwei Jahren zusammengeschlossen, um gemeinsam ein innovatives Tourismusangebot auszuarbeiten. Herausgekommen ist dabei in Kooperation mit der „Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für eigenständige Regionalentwicklung“ (ÖAR) in zweijähriger Schreibtisch- und Feldarbeit das „Rad-Wandererlebnis Donauland-Strudengau“, das auf die behutsame Nutzung der regionalen Ressourcen Natur und Kultur setzt.

Die ÖAR ist ein Regionalberatungsunternehmen, das vor allem in den Sektoren Landwirtschaft, Tourismus, Gewerbe und Energie über neuartige Wirtschaftsprojekte zur eigenständigen Entwicklung strukturschwacher Regionen Österreichs beitragen will. Es „wird dort aktiv, wo sonst von der Ruhe nur die Tierwelt leben kann“ (Österreich-Werbung). 1983 entstand es aus dem Zusammenspiel von kritischen Bergbauern, engagierten Wissenschaftlern und aufgeschlossenen Beamten in Wien. Anfangs voll finanziert aus dem Topf des BKA (Bundeskanzleramt), müssen die Projektträger (Bauern-Genossenschaften, Tourismusverbände, Kooperationen von Betrieben) seit zwei Jahren für die Beratungsleistung mitbezahlen.

Damit die Radler und Radlerinnen wissen, wo es langgeht, können sie zur Erkundung der Terra incognita Strudengau zwischen fünf thematisch angelegten Wegen wählen: Von Burg zu Burg, Kirchen, Klöster, Pilgerwege, Steine erzählen, Wasserläufe und Land aus Bauernhand. Entlang der beschilderten Velorouten wurden an interessanten Punkten sechzig Informationspulte aufgestellt, die anschaulichen Nachhilfeunterricht über Land und Leute geben sollen. Ernst Miglbauer, Spiritus rector des interdisziplinären ÖAR- Teams (eine Kulturwissenschaftlerin, ein Geograph, ein Marketing- und ein Tourismusexperte) will die Leute mit touristisch-pädagogischen Mitteln für die Eigenarten der Region sensibilisieren. Diejenigen sollen angesprochen werden, „für die das Rad ein Vehikel ist, um Erfahrungen zu machen und eine Region zu erkunden“. Dabei ist die „erste österreichische Mountainbike- Strecke“ (Eigenwerbung) nur ein Sonderangebot für die geländegängigen Radsportler.

Daß das Mühlviertel nicht ohne ist, verspüren geneigte Radlerinnen und Radler schon nach dem Erklimmen der ersten Hügelkuppen und Buckel. Der Name stammt vom slawischen „mihel“ ab und bedeutet Hügel. So mancher Flachlandtiroler, der sich radlmäßig ganz gut beieinander wähnt, wird in dieser Mittelgebirgslandschaft zwischen dem flachen Machland bei Grein (230 Meter) und Sankt Georgen am Wald (950 Meter) auf Granit beißen. Und das wortwörtlich, ist doch der steinreiche Landstrich aus Granit gemacht. Der Star unter den bizarren Felsformationen ist der fotogene Schwammerling bei Rechberg. Als sogenannter Wackelstein liegt der mächtige Koloß, gestylt wie eine Hutkrempe, auf einer steinernen Unterlage und ist beileibe nicht so leicht zu bewegen, wie es die Mär will.

Biologischer Landbau und Direktvermarktung

Fast ohne störenden Autoverkehr erfahren wir vorwiegend auf Straßen und Güterwegen die landschaftlichen Reize: sanft geschwungene Hügelketten, Streusiedlungen mit Dreikant-Bauernhöfen aus Granit, Burgen über Burgen, die auf Buckeln thronen, stille Waldtäler, durch die sich Bächlein hinab zur Donau schlängeln. Überall liegt der Duft von Heu in der Luft. Die erste Heuernte ist in vollem Gang. Auf den Feldern sind die Heumaschinen und Heuschwader im Einsatz, in den steilen Hanglagen geht es nur mit dem Motormäher. Bauern-Großfamilien formen mit den Rechen das abgeschnittene Gras zu Bahnen.

Bei Pabneukirchen stoßen wir am Feldrand auf ein Informationspult. Wir klappen es auf, lesen etwas über den „Biologischen Landbau“ und erfahren, daß die umliegenden Flächen biologisch bewirtschaftet werden. Diese gehören Josef Luftensteiner, der gerade mit seiner Heumaschine das Gras mäht. Bei einem guten goldgelben Most in der Stube erzählt er sein Coming-out als Bio-Bauer. Der Hof war baufällig, der Boden in gebirgiger Lage kärglich. Deshalb machte er es wie seine Brüder und ging zur Bundesbahn, arbeitete als Stellwerksmeister. Er führte den Hof im Nebenerwerb weiter, bis er im Verbandsorgan 'Der fortschrittliche Landwirt‘ etwas über das Buch Gesunder Boden, leistungsstarker Betrieb las. Den Kunstdünger, den er damals, 1977, schon für 30.000 Schillinge erworben hatte, verkaufte er wieder. „Ich habe nichts mehr ausgebracht, nichts mehr gesprüht, ganz radikal umgestellt.“ Seitdem arbeitet er wieder als Vollerwerbsbauer. Warum? „Aus Liebe zur Natur und Landwirtschaft“, sagt er. „Und eine Frau, die mitzieht, muß da sein“, ergänzt seine Frau Resi verschmitzt beim Spülen. Die Luftensteiners machen Direktvermarktung ihrer Getreideprodukte. Jeden Freitag ist Backtag in der eigenen Backstube. Am Samstag dann werden die hundert Ein-Kilo-Vollkornbrote, Mohnstrudel und Weckerln auf dem Bauernmarkt im 25 Kilometer entfernten Perg verkauft.

Ernst Luftendinger ist „Beraterbauer“ für diejenigen Landwirte, die vom konventionellen auf biologischen Landbau umstellen wollen. Nach drei Jahren Umstellungsberatung können sie „Anerkannter Betrieb“ des Bio-Bauernverbands werden. Mit 200 Bio-Betrieben, ein Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe, ist das Mühlviertel die stärkste Bio- Region ganz Österreichs. Und jährlich werden es 50 mehr. Einer davon ist der von Othmar Hohl aus Münzbach. Er hat letztes Jahr umgestellt. „Mit sechs Hektar hast du keine Chance zu leben“, sagt er, der seinen Hof im Nebenerwerb führt. Deswegen muß er hauptberuflich pendeln und „schichteln“ in einer Maschinenfabrik in Schwertberg.

Zwei Drittel aller Bauernhöfe im Mühlviertel sind Nebenerwerbsbetriebe. Zwischen den Flachlandbauern mit intensivem Maisanbau und großen Mastbetrieben, den „Körndlbauern, die nur Profit aus ihrem Grund und Boden rausholen wollen“ (Bauer Hohl), und den Bergbauern liegen Einkommenswelten.

Auf unserer Radreise fahren wir durchs Mittelalter, in den Strudengau der Burgen. Die Burg Klam bei Grein, 1149 erbaut, ist eine von fünfzehn und besonders malerisch. Man beachte den blumengeschmückten Arkadenhof aus der Renaissance. Seit 1454, heute bereits in der 21. Generation, residiert hier die Familie Clam-Martinec. Der jüngste Familiensproß, Graf Georg Adam, hat im letzten Jahr die Burg-Brauerei wieder „zum Laufen“ gebracht. 1896 weilte der schwedische Dichter August Strindberg in Klam. Die Klamschlucht mit dem Felsen „Türkenkopf“ am Eingang war für Strindberg ein Ort der Hölle, den er in seinem autobiographischen Roman Inferno visionär verarbeitete.

Zukunft für Landwirtschaft und Tourismus

Viktor Sigl ist Bürgermeister von Bad Kreuzen und für die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) im Landtag. Er war Geburtshelfer und (Pro)Motor des Radprojekts. Der „Regionalpolitische Arbeitskreis“, ein loser Treffpunkt für die Bürgermeister der Gemeinden der Region, hatte damals, erzählt Viktor Sigl, für die Entwicklung der Region das Ziel formuliert, zweigleisig zu fahren: auf der Schiene der Landwirtschaft und der Schiene des Tourismus. „Der Tourismus ist eine Entwicklungschance für uns, aber nicht die einzige“, meint er. Die Landwirtschaft, so Sigl optimistisch, habe durchaus ihre Zukunftschance hier. Die Böden seien noch nicht so überdüngt, die Höfe überwiegend Familienbetriebe.

Eigenständige Regionalentwicklung bedeutet, macht Bürgermeister Sigl klar, daß der Tourismus ausschließlich von den Leuten aus der Region bestimmt werden muß: die Dorfgemeinschaften müssen erhalten bleiben, die Bevölkerung darf nicht wie in Tirol zum Bedienungspersonal degenerieren; die Mühlvierteler Volksfeste bleiben Feste des Volkes und sind keine inszenierten Touristenspektakel. Das einsichtige Strudengauer Motto könnte wegweisend sein: Gebt dem Tourismus als Monokultur keine Chance!

Die Arbeit der ÖAR habe bereits Früchte getragen, meint der Projektverantwortliche Sigl. Die Zahl der Nächtigungen sei gestiegen, die radtouristische Offensive wäre überwiegend auf positive Resonanz in der Region gestoßen. Die Gemeinden von ganz unterschiedlichem touristischen Stellenwert hätten gemeinsam etwas angeschoben.

Ingrid Wiedenschwinger von der ÖAR gibt indessen zu, daß sie lange Zeit auf Skepsis bei der einheimischen Bevölkerung gestoßen seien und Überzeugungsschwerstarbeit hätten leisten müssen. „Und im Tourismus mußt du sowieso mit den Schwarzen zusammenarbeiten“, fügt Ernst Miglbauer hinzu. Früher als „rote Fallschirmjäger“ verschrien, hat die ÖAR wegen ihrer professionellen Arbeit heute landesweit ein hervorragendes Renommee.

Hätten die politischen Entscheidungsträger auf einen Betriebsberater aus Wien gehört, dann hätte sich der Strudengau ein anderes Tourismuskleid anziehen müssen, mit großen Hotels, Freizeitparks und dergleichen mehr. Radfahrer seien nur „eine schöne Kornblume im Bukett. Gebt ihnen 100 Schillinge, damit sie weiterfahren. Ihr braucht Touristen, die 3.600 Schillinge (etwa 500 Mark) am Tag in der Region lassen“, empfahl der „Berater“.

Für Gastwirt Ettlinger in Waldhausen sind die Radlerinnen und Radler ausgesprochen angenehme Gäste. „Die sind, wenn sie tagsüber sechzig Kilometer geradelt sind, happy darüber, daß sie soviel geleistet haben. Dann haben sie einen Riesenhunger und -durst und sind bald müde.“ Als lebender Beweis dient die muntere Truppe aus Kiel, die sich gerade nach dem Verzehr regionsspezifischer Spezialitäten wie Hirnpofesensuppe und Brandteigkrapferl mühsam von den Gartenstühlen erhebt. „Vom Kapitän bis zur Hausfrau“, beschreibt die Reiseleiterin das Sozialprofil ihrer Schäfchen, die im Bus „Reisen mit Autokraft“ verschwinden, um den letzten noch praktizierenden Wachszieher im Mühlviertel, Franz Wimmer, zu „besichtigen“. Drei Tage lang seien sie jeweils 56 Kilometer an der Donau entlanggeradelt. Für den Aufstieg ins hügelige Hinterland haben sie die Räder auf den mitgeführten Anhänger verfrachtet. Doch auch die IndividualistInnen können ihr Rad mit den Bundesbussen kostenlos mit hinaufnehmen.

„Wir sind kein sanftes Tourismusprojekt“, erklärt Ernst Miglbauer von der ÖAR. Dabei müßten die Kernelemente ökologisch abgesichert sein, wozu auch die Gastronomie zähle. Und die würde im Mühlviertel bisher nicht so richtig mitziehen. Miglbauer versteht das Radwanderprojekt vielmehr als regionsverträglich und sozialkulturell angepaßt. Aufgrund einer Befragung der DonauradlerInnen sieht er eine „gute Chance, daß langfristig vielleicht 30 Prozent von ihnen zu motivieren sind, ins Hinterland zu fahren“. Sein Projektkollege Leo Gander, der Mann fürs Marketing, ist skeptischer. Das radtouristische Angebot könne nur ein Aufhänger sein, um die Leute auf die Region aufmerksam zu machen.

Die Beraterfirma ÖAR zieht sich jetzt, nachdem das neue radtouristische Produkt zur Reife gelangt ist, wieder zurück. Nun müssen die Gemeinden vor Ort ihr Tourismusschicksal wieder ganz in die eigenen Hände nehmen.

Informationen: Werbegemeinschaft Donauland-Strudengau, Postfach: A-4360 Grein, Tel.: 0043/72687290