Abwarten und Tequila trinken

US-Delegation fährt ohne ehrgeizige Ziele nach London/ Bei den Gatt-Verhandlungen setzen die USA weiter auf ein Entgegenkommen der EG/ Großes Interesse an Mexiko  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Die USA haben am Vorabend des Wirtschaftsgipfels in London unmißverständlich klar gemacht, daß die Sowjetunion nicht mit einer großen Hilfsaktion nach dem Muster des Marshallplans rechnen kann. Finanzminister Nicholas Brady gab zu verstehen, daß die Aufnahme der UdSSR als beigeordnetes Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank „im Mittelpunkt“ des Angebots stehen dürfte, das der Wirtschaftsgipfel Gorbatschow macht.

Als ein weiteres beherrschendes Thema des Gipfels neben der Osteuropa- und Sowjetunion-Hilfe nannte Brady das Ringen um einen Abschluß der Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt). Doch auch das betreiben die USA derzeit wenig engagiert. An einer „Deadline“ wie im letzten Jahr, sagte die US-Handelsbeauftragte Carla Hills kürzlich in Washington, seien die USA nicht mehr interessiert. Den USA sei mehr an den Inhalten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens zwischen 106 Staaten (Gatt) gelegen, als an einem neuen Schlußtermin, der dann doch wieder ereignislos verstreichen werde — wie im Dezember letzten Jahres, als die Verhandlungen an der Sturheit der Europäer in der Agrarfrage zunächst scheiterten.

Die USA haben es mit dem Abschluß der Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandels auch deswegen nicht mehr so eilig, weil der Kongreß der US-Regierung im Mai die Verlängerung des sogenannten Fast-track-Verfahrens gewährt hat. Danach könnte ein Gatt-Abkommen im Schnellverfahren durchs Parlament gebracht werden.

Dennoch, meint Carla Hill, müssen sich die 106 in Genf verhandelnden Gatt-Staaten bis Ende Juli auf einen Aktionsplan einigen, falls die komplexen Gespräche über die Aufhebung der internationalen Handelsschranken in diesem Jahr überhaupt noch ihren Abschluß finden sollen. Gelingt dies nicht, könnte die Gatt- Runde leicht politischen Erwägungen geopfert werden, wenn in den USA und in einigen anderen Ländern im nächsten Jahr Wahlen anstehen.

Schon jetzt zeigt Präsident Bush wenig Neigung, die festgefahrene Uruguay-Runde auf dem Londoner Wirtschaftsgipfel zum Thema Nr. 1 zu erklären. Dies mag daran liegen, daß die Regierung in der Regel nur ein wichtiges außen- oder wirtschaftliches Problem gleichzeitig zu bewältigen vermag — und dies ist in London trotz aller gegenteiligen Beteuerung eindeutig die Frage der Wirtschaftshilfe an die Sowjetunion.

Aber auch in Genf zeigen die amerikanischen Unterhändler derzeit wenig Initiative. Nach wie vor bestehen die USA zusammen mit der sogenannten Cairns-Gruppe von 14 agrarexportierenden (Dritte-Welt)- Ländern unter der Führung Australiens auf deutlichen Schritten der EG zur Agrarreform, ehe über die Streitpunkte in den übrigen 15 Verhandlungsbereichen überhaupt geredet werden kann.

Zwar sind die USA jetzt vom Feilschen um Prozentpunkte beim Abbau der Exportsubventionen, internen Unterstützungszahlen und Importbarrieren für Agrarerzeugnisse etwas abgerückt und wollen zunächst über die Abbaumethoden statt über konkrete Zahlen sprechen. Doch ihr Vorschlag, alle existierenden Handelshemmnisse vergleichbar zu quantifizieren, wird von der EG nach wie vor abgelehnt.

Währenddessen scheinen die USA ihre ganzen Liberalisierungsenergien auf die Verhandlungen über einen Freihandelspakt mit Mexiko und Kanada zu konzentrieren. Können die amerikanischen Unterhändler mit diesen beiden Ländern doch ganz anders umspringen als mit den sturen Europäern. Auch haben die USA im Juni ein separates Rahmenabkommen mit vier südamerikanischen Staaten abgeschlossen, das in eine Freihandelszone vom Yucon bis nach Feuerland münden soll.

Wirtschaftsexperten halten diesen Trend zum Regionalismus jedoch für schädlich. Die Wirtschaftsbeziehungen mit Lateinamerika werden nie die US-Bindungen an Europa ersetzen können. Jetzt wo die Gatt- Verhandlungen in einer entscheidenden Phase seien, so Jagdish Bhagwati, Ökonomieprofessor an der Columbia University, sei die Bevorzugung der regionalen Route das falsche Signal zur falschen Zeit.