Eine neue Ära des Protektionismus?

Ausgerechnet die Unternehmen, die sich einst für den EG-Binnenmartk stark machten, fürchten die internationale Konkurrenz/ Gipfelländer pflegen ihre Nationalinteressen  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Feist gefielen sich die Wüstenkrieger in der Siegerpose: Dank überlegener US-Militärtechnolgie sei es ihnen gelungen, das belastende Vietnam- Syndrom endlich auf den Misthaufen der Großmachtgeschichte zu befördern. Doch zu früh gefeiert: Nicht ihrer Kampfeskraft, sondern japanischen Halbleitern sei der Sieg über Saddam Husseins Streitmacht zu verdanken, klärt Japans führender Amerikanophobist Shintaro Ishihara die Weltpolizisten auf. Mit seinem neuen Buch scheint dem Parlamentarier ein Volltreffer geglückt zu sein. Die Schockwellen gepeinigten US- Selbstwertgefühls laufen rechtzeitig zum Gipfel der Weltmarktgiganten in London ein.

Dort soll es schwerpunktmäßig auch um die Liberalisierung des Welthandels gehen, über die die 106 Staaten des Gatt, des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, derzeit in Genf verhandeln. Doch wie es tatsächlich um das Verhältnis der großen Sieben bestellt ist, zeigen Attacken wie die von Ishihara: Protektionistische Verwerfungen und regionale Großmachtgelüste dominieren die Agenda — auch in der EG.

Seit Monaten schon verlieren Apologeten des Freihandels wie Binnenmarktkommissar Martin Bangemann und sein für Wettbewerb zuständiger Kollege Sir Leon Brittan an Boden. Das Projekt Binnenmarkt EG '92, so die wachsende Erkenntnis in Unternehmerkreisen, führe nicht nur zum Abbau EG-interner Grenzen sondern auch zum Ausverkauf an die japanische und US-amerikanische Konkurrenz.

Inzwischen mehren sich die Bedenken ironischerweise gerade bei denen, für die das Unternehmerparadies eingerichtet werden soll. So manche Industriemagnaten fühlen sich der erwarteten Konkurrenz von inner- und außerhalb der EG nicht gewachsen. So wird der Ruf nach EG-Beihilfe und Außenschutz immer lauter. Als protektionistisches Sprachrohr betätigt sich die französische Premierministerin. Japan wolle die Welt erobern. Dies, so Edith Cressons eindeutige Botschaft, könne Frankreich und die EG nicht zulassen. Schließlich seien Europas Schlüsselindustrien in Gefahr. Tatsächlich verliert die Elektronikbranche seit Jahren an Boden. Ähnliche Sorgen plagt die Computerindustrie, die nur noch knapp ein Zehntel aller Halbleiter herstellt, während japanische Firmen fast die Hälfte des Weltmarkts für Computerchips kontrollieren. Am lautesten aber wettern Europas Autohersteller gegen die „Kolonisierung aus Fernost“, allen voran Peugeot-Chef Jacques Calvet.

Eine Industriepolitik wird eingeklagt, von der jedoch noch nicht klar ist, ob sie stärker in Brüssel oder den nationalen Hauptstädten geschneidert werden soll. Statt wie bisher die Konkurrenz zu forcieren, wird den beamteten Wettbewerbshüter nahegelegt, in Zukunft ganze Branchen zu schützen. Vorschläge dieser Art finden bei den Freihandelsfans null Verständnis. Dann werde der Binnenmarkt zum Flopp, so drohen sie. Und die Gatt-Runde zum weltweiten Abbau von Handelshemmnissen verkümmere zum folgenlosen Debattierclub. Doch seit dem Scheitern der Gatt-Verhandlungen scheint sich die Triade USA-Japan-EG erst einmal auf den Ausbau ihrer jeweiligen Hinterhöfe konzentrieren zu wollen (vergl. die Artikel oben und nebenstehend).

Bei ihrem Feldzug gegen den Protektionismus hoffen Bangemann und Brittan auf Unterstützung durch die holländische Regierung. Der Außenminister und amtierende EG-Ministerratspräsident van den Broek hat schon angekündigt, daß er sich für ein neues Verhandlungsangebot der EG an die Gatt-Partner stark machen will. Die unendliche Agrarreform soll deswegen jetzt zu Ende gebracht werden. Entsprechende Vorschläge mit radikalen Preiskürzungen hat die EG-Kommission diese Woche vorgelegt. Daß sie in absehbarer Zeit tatsächlich auch von den Agrarministern angenommen werden, erwartet jedoch niemand. Statt dessen ist immer häufiger von Wirtschaftskrieg die Rede. Sogar einen richtigen Krieg zwischen Japan und den USA halten manche Politiker für möglich. Nur so ließe sich wohl Ishiharas These überprüfen, daß nicht US- amerikanische Kampfkraft, sondern japanische Computerchips im Golfkrieg den Ausschlag gaben: Sie kämen auf beiden Seiten zum Einsatz.