DEBATTE
: Nur Verlierer im Treibhaus

■ Bernd Ulrich antwortet Klaus Michael Meyer-Abichs Beitrag in der taz vom 9.7.91

Mit den Thesen von Klaus Michael Mayer-Abich zu den politischen Folgen der Klimaveränderung droht die Klimadebatte in eine gefährliche Sackgasse zu laufen. Wissenschaftsgläubigkeit und ein moralisierender Appell an die westliche Welt können die momentan wichtigste globale Debatte zur bloßen Begleitmusik eines aus den Fugen geratenen Klimas degradieren.

Gewiß ist nur die Ungewißheit

Es ist wohl wahr, daß die ökologischen Neanderthaler überall auf der Welt erstmal naturwissenschaftlich abgesicherte Prognosen wollen, bevor sie ernsthafte Schritte zur Klimastabilisierung einzuleiten bereit sind. George Bush hat das bis zum Überdruß vorgeführt. Das kann allerdings kein Grund sein, nun im Gegenreflex so zu tun, als gäbe es detaillierte und gesicherte Erkenntnisse über die Zukunft des Klimas. Soweit ich die Diskussion überblicke, ist mit einiger Sicherheit lediglich von einer Erwärmung des Erdklimas auszugehen. Es kommt nur noch darauf an — das allerdings ist für das Leben auf der Erde entscheidend —, in welchem Tempo und wie stark sie kommen wird.

Im Grundsatz ist der Rubikon überschritten, die Menschheit hat begonnen, das Klima zu manipulieren. Welche Folgen das aber im einzelnen haben wird, ist ziemlich unklar. Meyer-Abich geht bei seinen Thesen davon aus, daß beispielsweise Kanada, Japan und die Sowjetunion langfristig von der Erwärmung des Klimas profitieren werden („...im speziellen Fall der Klimapolitik scheinen mir die kurzzeitigen Kosten geringer zu sein als die langfristigen Vorteile, die der Norden zu erwarten hat“). Eine Aussage von solcher Reichweite setzt voraus, daß man weiß, was man nicht wissen kann: wie das Biotop auf die Neuigkeit rasanter Klimamanipulation durch Menschenhand genau reagiert.

Ob nun die Erwärmung durch die Erschöpfung der CO2-Speicherkapazität der Meere, das Abschmelzen des ewigen Eises und das beschleunigte Sterben der Wälder zu Rückkoppelungseffekten führt; oder ob größere Vulkanausbrüche, wie gegenwärtig auf den Philippinen, durch Ausstoß von SO2 in die Atmosphäre zu einer Abkühlung führen können; oder was passiert, wenn beides geschieht — wer soll das wissen? Es spricht alles dafür, daß wir uns global und regional von nun an unablässig über die Zukunft des Klimas bzw. des Wetters, streiten werden.

Die ganze Diskussion über computergesteuerte Klimaprognosen verdeckt das wirkliche Problem: die neue Unberechenbarkeit des Klimas. Der Gedanke mutet auf den ersten Blick seltsam an. Aber entgegen dem Alltagssprachgebrauch ist das Klima seit Menschengedenken global und, im großen und ganzen, auch regional vorhersehbar. Wir, oder zumindest die Bauern, wußten ungefähr, wann wo mit welchen Wetterveränderungen zu rechnen war. Der jahrtausendealte Kampf der Bauern mit dem Wetter war im großen und ganzen von Erfolg gekrönt, weil sich das Wetter nicht zu sehr und nicht zu schnell änderte.

Auf grober Wettergewißheit beruht nicht zuletzt auch die Bewegung unserer Gemüter im Wechsel der Jahreszeiten. Was nun bevorsteht, ist eine Entgleisung des Klimas — wie sie en detail auch immer aussehen mag. Dieser Gedanke findet sich in Bill McKibbens The End of Nature, (New York, 1989.) Der naturwissenschaftsgläubige Streit fixiert sich aber genau auf die unübersehbare Fülle. Die Apologeten des Industrialismus haben es dabei geschafft, die Ökologen in Beweisnot zu bringen.

Es wäre darum klüger, von seiten der Ökologen das prognostische Hase-und-Igel-Rennen zu beenden, um nicht von jedem Vulkanausbruch und jedem kalten Sommer in Glaubwürdigkeitskrisen gestoßen zu werden. Das wäre jedenfalls besser, als waghalsige Prognosen noch ins Groteske zu steigern, wie Meyer-Abich das tut. Seine Behauptung, der Norden werde mittelfristig von der Erwärmung profitieren, setzt folgende Berechnung voraus: Die Kostensumme, die durch das Bauen von Deichen, das Sterben der Wälder, die Krankheiten der Menschen, die Veränderung der Meeresströmungen usw. entsteht, wird durch den Zugewinn an fruchtbarem Land und fischreicherem Wasser aufgewogen. Eine solche Rechnung ist einfach Quatsch.

Wozu aber nun das Gerede von Gewinnern und Verlierern? Nur um den Hauptklimaverbrauchern im Norden und Westen zu sagen, sie sollen nicht im eigenen unmittelbaren Interesse ihre Lebensweise radikal umstellen, sondern um des armen Südens willen? Die Vernunft des Nordens spricht Meyer-Abuich erst über das Hilfsargument an, der Süden werde aus Not politische Konflikte mit dem Norden anzetteln und vor den Ökokatastrophen zu uns fliehen — ein Argument, das unfreiwillig die Gegenfrage im Gepäck hat, wieviel uns der schwache Süden denn wirklich anhaben kann. Seine Argumentation ist einesteils die Fortsetzung ökologischer Umwegagitation, wie wir sie seit Beginn der Umweltbewegung gerade in Deutschland kennen. Erst sollten die Reichen im Norden im Interesse späterer Generationen ökologisch umsteuern, nun sollen wir es um des armen Südens willen. Doch was spricht eigentlich dafür, daß der Nordwesten auf die Aufforderung zum Altruismus eher reagiert als auf vernünftigen Eigennutz? Man sollte sich vom heftigen Kopfnicken des Auditoriums nicht täuschen lassen, wenn man ans schlechte Gewissen gegenüber dem Süden appelliert. Es passiert hernach sehr wenig.

Zum anderen der Appell an die Nächstenliebe im Norden, es komme für unsereins schon nicht so schlimm, weil die ökologischen Folgekosten unserer verrückten Lebensweise räumlich und zeitlich in der Ferne liegen. Das ist aber alles nicht (mehr) wahr. Die ökologische Zukunft rast auf die Gegenwart zu. Die meisten Folgen unserer Taten erreichen uns nicht in Jahrhunderten, sondern in Jahrzehnten, nicht über Flüchtlingsströme, sondern unmittelbar.

Widersprüche mitten durch die Industriegesellschaften

Auch die klammheimliche Hoffnung, die absehbare Verschärfung ökologischer Konflikte werde „nur“ das Verhältnis zwischen Norden und Süden berühren, trügt. Die ökologischen Widersprüche werden sich in aller Heftigkeit mitten in unseren westlichen Industriegesellschaften abspielen.

Ich halte es darum für sachlich angemessener und politisch erfolgversprechender, an die ökologische Vernunft zu appellieren und an die Reste von Ehrfurcht gegenüber der Natur, als dem „Schluchzen des weißen Mannes“ zu vertrauen. Der Treibhauseffekt kennt keine Gewinner, nur Verlierer. Bernd Ulrich

Der Autor lebt als freier Publizist in Köln.