Lotta-Continua-Prozeß: Urteile bestätigt

 ■ Aus Rom Werner Raith

Obwohl es in den letzten Tagen noch Entlastungebeweise geradezu gehagelt hatte, war an der Entscheidung des Revisionsgerichts Mailand nichts mehr zu ändern. Ohne Einschränkung wurden die Urteile erster Instanz gegen ehemalige Mitglieder der linken Studenten- und Arbeiterorganisation „Lotta Continua“ bestätigt.

Wegen der Ermordung des Polizeihauptkommissars Luigi Calabresi 1972 müssen nun Ovidio Bompressi (als Ausführender), Giorgio Pietrostefani und Adriano Sofri (als Auftraggeber) jeweils 22 Jahre ins Gefängnis. Der „Kronzeuge“ Leonardo Marini, dessen Geständnis 1988 den Fall ins Rollen brachte, erhielt elf Jahre.

Das Verfahren hatte seit Anbeginn große Polemik ausgelöst: Außer der unter recht merkwürdigen Umständen gemachten Aussagen Marinis — er ging zur Polizei und war plötzlich schuldenfrei — sorgten auch widersprüchliche Gutachten für Zweifel. Zuletzt zeigte sich auch noch, daß den Gutachtern jahrelang das falsche Schußwaffenprojektil vorlag und die Polizei demnach die falsche Tatwaffe gesucht hatte.

Das Verfahren hat auch aus anderen Gründen Aussicht, Justizgeschichte zu machen: Sofri hatte in erster Instanz auf Revision verzichtet, so daß sein Urteil eigentlich bereits rechtskräftig wurde. Doch weil die anderen Angeklagten in die nächste Instanz gingen, beschlossen die Richter ohne Rechtsgrundlage, auch seinen Fall ebenfalls für offen zu erklären. Auf diese Weise blieb der ehemalige Lotta-Continua-Führer zunächst von der Haft verschont.

Das nunmehrige Urteil läßt eine solche Behandlung nicht weiter zu, auch wenn die anderen Angeklagten vor das Kassationsgericht — vergleichbar unserem Bundesgerichtshof — ziehen: Sofri müßte in den Knast einrücken.

In politischen und intellektuellen Kreisen herrscht Wut und Ratlosigkeit ob dieses Urteils: Selbst der derzeitige Justizminister Claudio Martelli, langjähriger Freund des mittlerweile angesehenen Publizisten Sofri, hatte schon bei dessen Verhaftung die Anschuldigungen für puren Unsinn erklärt. Viele Kommentatoren Italiens halten es für wahrscheinlich, daß die Gerichte beider Instanzen die Zeugenaussagen zu wenig prüften und daß der Behauptung zu wenig nachgegangen worden sei, Marini sei mit seinen Aussagen vom Geheimdienst präpariert worden.