Japanischer Rushdie-Übersetzer tot

Grausamer Mord am Übersetzer der „Satanischen Verse“  ■ Aus Tokio Georg Blume

Der japanische Rushdie-Übersetzer ist tot. In der Universität von Ibaragi nördlich von Tokio entdeckte ein Hausangestellter am Freitag morgen die Leiche des japanischen Islam- Wissenschaftlers Hitoshi Igarashi (44), der für Nippons Leserschaft die Satanischen Verse in Schriftzeichen übertragen hatte.

Igarashi wurde Opfer eines grausamen Mordes. Gesicht, Hals, Arme und Hände waren von Messerstichen schrecklich zugerichtet. Vor erst zwei Wochen, am 3. Juli, war Salman Rushdies italienischer Übersetzer in Mailand von einem Unbekannten verletzt worden.

Auch am Freitag abend tappte die japanische Polizei noch im dunkeln. Hinweise auf den Mörder gibt es bisher offenbar nicht. Der Assistenzprofessor für vergleichende Anthropologie an der Tsukuba-Universität von Ibaraki hatte sein Schicksal offenbar schon vor Wochen geahnt, als er seinen Studenten die Mitteilung machte: „Ich bin zum Tode verurteilt.“ Gestern erklärten Igarashis Universitätsschüler, daß sie Igarashis Worte damals für einen Witz gehalten hätten.

Die Ignoranz der Studenten sagt viel über die Rushdie-Rezeption in Japan aus. Auch nachdem Ayatollah Khomeni vor zwei Jahren seinen Mordpfeil in die Welt geschickt hatte, mit dem er ein Kopfgeld von einer Million Dollar auf den schnell weltberüchtigten Autor aussetzte, kannten in Japan nur Eingeweihte den Namen des indisch-englischen Schriftstellers.

Schließlich hatten es Nippons Leser dem Mut des kritischen Shinsensha-Verlages und den Übersetzermühen Igarashis zu verdanken, daß im Februar 1990 endlich auch in Japan die umstrittenen Verse in einem ersten Band erschienen, auf den im August 1990 der zweite und abschließende Band folgte. Dabei stieß die Rushdie-Übersetzung auch in Japan auf heftigen Widerstand. Was die großen japanischen Verlage vor der Publikation der Verse zurückschrecken ließ — nämlich öffentlicher Ärger, der in Japan leicht den guten Ruf kosten kann —, mußte in den ersten Monaten des vergangenen Jahres der Shinsensha-Verlag allein auf sich nehmen.

Wiederholt demonstrierten Moslems vor den Türen des Verlages, aber auch vor Buchhandlungen und Lieferbetrieben. Als ein italienischer Journalist im Februar 1990 ein Gespräch mit dem Übersetzer Igarashi moderierte, erhielt er prompt eine Morddrohung vom Vorsitzenden der Pakistanischen Gesellschaft in Japan. Im April vergangenes Jahres verstummten dann die Proteste, weshalb der Shinsensha-Verlag gestern vorbeugend gegen weitere Aktionen behauptete, der Mord stehe in keinem Zusammenhang mit der Rushdie-Ausgabe in Japan.

Aufgrund der guten Beziehungen, die Japan während des Iran-Irak- Krieges sowohl mit Bagdad als auch mit Teheran pflegte, hatte sich Tokio bei den Anschuldigungen gegen den Rushdie-Rufmord peinlich diskret verhalten. Auch die japanische Presse hatte die Affäre möglichst kleingehalten.

Bis zum Tag des Mordes an Igarashi war der Name Salman Rushdie in Tokio selbst in Intellektuellenkreisen keineswegs geläufig. Der Mord an dem Wissenschaftler, der dies nun ändern wird, wirft in Japan viele Fragen auf — nicht nur bei den Polizeibehörden.