Gütesiegel mit Solidaritäts- bonus

■ Vor einem Jahr schien den Bürgern aus der Ex-DDR noch alles, was aus dem Westen kam, besser zu sein. Heute läßt sich mit identitätsstiftenden "Qualitäts-produkten aus den neuen Ländern" prima werben.

Gütesiegel mit Solidaritäts- bonus Vor einem Jahr schien den Bürgern aus der Ex-DDR noch alles, was aus dem Westen kam, besser zu sein. Heute läßt sich mit identitätsstiftenden „Qualitätsprodukten aus den neuen Ländern“ prima werben.

Es gibt Gurken, die kommen aus Brandenburg und sind grün. Basta!“ Für Friedrich Wagner, Geschäftsführer der Berliner Vertretung der Lebensmittelkette REWE, soll bald ganz selbstverständlich sein, was heute noch eher die Ausnahme ist: das Angebot von „Ostprodukten“ in den Regalen der Supermärkte. „Schon bald“, so tönt es auch aus der Kölner Zentrale des Einzelhandelsmultis, „werden wir gar nicht mehr wissen, ob irgendetwas aus dem Osten oder dem Westen kommt — und das ist gut so.“ Noch jedoch ist der kleine aber feine Herkunftsunterschied durchaus willkommen, denn mit ihm läßt sich prima Werbung machen: „Hier erhalten Sie Qualitätsprodukte aus den fünf neuen Bundesländern“, prangt dick an der Eingangstür des Supermarkts an der Ecke, „sie sichern damit Arbeitsplätze in Ostdeutschland.“ Ein Jahr nach der Währungsunion haben die einst verpönten „Ostprodukte“ in der Ex-DDR wieder Konjunktur. Längst gibt es die identitätsstiftenden Aufkleber „Ich kaufe Ost“. Und der unsichtbare Stempel „made in Eastern Germany“ soll nun auch in den alten Bundesländern zu einem Gütesiegel mit Solidaritätsbonus werden.

Vor einem Jahr noch, da stand dieses Herkunftszeichen für das genaue Gegenteil: für Mißwirtschaft, schlechten Geschmack, mangelnde Qualität und für 40 Jahre vorenthaltene Lebensqualität. Die Butter schmeckte plötzlich nicht mehr, das Bier hatte einen Beigeschmack, das Waschpulver wollte nicht mehr richtig weiß waschen, und die Milch war plötzlich nur noch in bunten Kartonverpackungen genießbar. Von der Nudel bis zur Schrippe, alles, aber auch alles aus dem Westen schien besser zu sein. Kräftig unterstützt durch die westdeutsche Lebensmittelbranche, die ihre Filialen mit Knebelverträgen zum Verkauf westdeutscher Erzeugnisse verpflichtete, putzten die DDR-Bürger ihre altgewohnten Produkte aus den Regalen — und sägten damit kräftig an ihren eigenen Arbeitsplätzen. Ferkel wurden in Massen zur Abdeckerei gebracht, weil keiner mehr die „Ost- Wurst“ wollte. LPGs mußten reihenweise ihre Felder aufgeben, Brauereien die Abfüllhähne zusperren.

Langsam, aber deutlich spürbar, zeichnet sich in den letzten Monaten jedoch ein anderer Trend ab. „Der zwangsläufige und für viele Betroffene schmerzliche Anpassungsprozeß ist sicher noch nicht zu Ende, kommt aber jetzt in ein neues Stadium“, heißt es in einer Analyse der Berliner Forschungsstelle für den Handel vom Juni dieses Jahres. Bereits im September '90 hatten Marktforschungsinstitute bei Konsumentenbefragungen in der Ex-DDR eine klare Bevorzugung der heimischen Produkte festgestellt, die aber in keinem Verhältnis zu dem stand, was dann tatsächlich in den Läden zum Verkauf angeboten wurde. Bei Industrie- oder gar High-tech-Produkten sind die Kunden zwar nach wie vor skeptisch gegenüber der Qualität der hausgemachten Ware. Aber bei Textilien, Campingartikeln, Werkzeug oder Sportgeräten registrierten die Meinungsforscher eine hohe Akzeptanz für die vertrauten Markennamen. Und bei Lebensmitteln zeichnet sich der Trend ab, daß Ost am liebsten auch Ost kauft. Doch auch im Westen läßt sich inzwischen mit dem Prädikat „made in Eastern Germany“ manche Mark machen. Zumindest was Lebensmittel angeht, so gaben bei einer repräsentativen Befragung 60% der Westberliner an, wünschen sie sich mehr Produkte aus den neuen Ländern in den Regalen.

„Ostgemacht — ein gutes Stück Deutschland“

Der Einzelhandel hat auf diesen Trend längst reagiert. Schon im letzten Jahr schickten die Lebensmittelketten ihre Einkäufer los, um bei den Zulieferern das Terrain zu sondieren. Inzwischen gibt es in Ostdeutschland kaum einen Supermarkt, der nicht auf heimische Produkte zurückgreift. Und auch Westberlin und das ehemalige Zonenrandgebiet werden zunehmend mit Frischprodukten aus dem Umland beliefert. In Westdeutschland ist der Anteil der Ostprodukte am Warensortiment zwar noch marginal und steht in keinem Verhältnis zu den mehr als 20prozentigen Umsatzsteigerungen, die etliche Einzelhandelsketten dadurch erzielten, daß sie mit ihren Erzeugnissen den DDR-Markt überschwemmten. In den FNL ist das Ost-Sortiment jedoch bei fast allen Supermärkten deutlich gestiegen. Die Kölner Rewe-Gruppe etwa macht dort inzwischen 30 Prozent ihres Umsatzes mit heimischen Produkten: Eier, Milch, Fleisch und Gemüse kommen fast ausschließlich von den ehemaligen LPGs. Billiger sind diese Erzeugnisse trotz der Niedriglöhne zwar nicht, denn was durch geringe Lohnkosten eingespart wird, muß wegen nichtvorhandener Technologie draufgelegt werden. Doch qualitativ können die Ostprodukte durchaus Schritt halten und warum, so meint der Berliner REWE-Chef Wagner, „sollen wir jetzt unseren Kopfsalat und unsere Gurken weiterhin aus Holland heranfahren, wenn das Gemüse aus Brandenburg sogar besser schmeckt als das aus den Treibhäusern?“ 370 verschiedene Erzeugnisse umfaßt inzwischen das Ostsortiment der Handelskette, von der Butter und die gemeine Nudel über die Billig-Margarine „Sonja“ bis zum DDR-Standard-Waschmittel Marke „Spee“, das nostalgische Erinnerungen weckt. Als Anfang dieses Monats ostdeutsche Betriebe zu einer Verkaufsmesse unter dem Titel „Ostgemacht — ein gutes Stück Deutschland“ luden, blieben denn auch zahllose Ostberliner mit glänzenden Augen vor „Rotkäppchen-Sekt“ und den etwas vergilbten Dosen mit Kaßlerippenspeer aus Thüringen stehen. „Irgendwie schmeckt unser Bier doch besser“, konnte man selige Stimmen am Getränkestand philosophieren hören. Zur gleichen Zeit wurden wenige Kilometer weiter mehr als eine Million Flaschen „Berliner Weiße“ zu Kompost verarbeitet. Die Herstellerbrauerei hat Währungsunion und Konkurrenzkampf nicht überlebt, und für die notwendigen Lagerräume wollte niemand zahlen. Vera Gaserow