Ein Hanseat von beiden Seiten

■ Thomas Deecke, Gründungsdirektor des Neuen Museums Weserburg, über Deecke, die Bremer Szene, sein Haus und sein Bier

Würde der Einsneunzig-Mann beschwingt durch die Tür seines Büros gehen, rammte er sich den Schädel. Thomas Deecke aber ist Hanseat. Alte Lübecker Familie, „von beiden Seiten“. Deecke ist Direktor des Neuen Museums Weserburg, das im September rechtzeitig vor der Wahl eröffnet wird. Ein „Sammlermuseum“, in dem namhafte Kunstsammler ihre Bilder und Objekte geschlossen präsentieren.

Deecke (Jg.'40) wurde zwei Monate nach der Geburt Halbwaise, sein Vater, Berufsoffizier, fiel im Krieg. Mit 13 kam Deecke auf die Odenwaldschule (“Ich bin unheimlich gern auf dem Internat gewesen“) und hatte dort einen förderlichen Kunstlehrer. Deecke studierte in Freiburg, München und Berlin Kunstgeschichte, lernte das Ausstellungshandwerk beim Deutschen Akademischen Austauschdienst in Berlin und leitete sieben Jahre lang den Westfälischen Kunstverein in Münster.

Deecke liebt die Kunst und haßt Bürokratie, Engstirnigkeit und Leerlauf: „Ich finde es entsetzlich, wenn mir im Zug jemand gegenübersitzt, und der guckt aus dem Fenster.“

taz : Sie sind jetzt vier Jahre lang Museumsdirektor ohne Museum gewesen. Was war Ihr größtes Problem bislang?

Das waren wider alle Erwartungen nicht die Probleme mit den Sammlern. Unterschiedliche Vorstellungen von Konzeption und Präsentation waren relativ leicht lösbar. Die wirklich großen Probleme waren mit dem Bausenat. Mit Menschen, die nicht gewöhnt sind, effektiv, schnell und unkompliziert zu denken. Das hat fast die letzten Nerven gekostet. Z.B. war die feste Abmachung, daß wir sechs Monate Zeit haben, das Museum einzurichten. Ich habe jetzt nur eineinhalb Monate. Immer noch wird herumgedoktert, vieles ist nicht fertig. So sind die Möbel und Maschinen in den Werkstätten immer noch zum großen Teil nicht einmal bestellt. Da müssen 27 Leute noch ihr Plazet geben.

Das Museum hängt von den Sammlern ab; wie weit geht Ihr Einfluß bei der Auswahl der Kunstwerke?

Ich habe nur die Sammler ausgesucht, die etwas haben, was mir fehlt. Über einzelne Werke gab es manchmal längere Gespräche, aber wir haben uns immer geeinigt, wenn es einen Dissens gegeben hat. Hätte! Das Wort ist schon viel zu stark.

Duzen Sie Sich mit den Sammlern?

Mit zweien. Mit Dr. Stober aus Berlin, unsere Kinder sind in eine Klasse gegangen. Das andere ist Karl Gerstner, zu ihm ist schnell eine Freundschaft entstanden. Ich duze mich mit sehr wenig Leuten.

Mit Scherf? Opper? Manske?

Nein, nein.

Mit Salzmann?

Nein. Ich duze mich auch hier im Hause mit niemandem. Man kann schwierige Sachen viel leichter auf der Ebene des „Sie“ besprechen. Einem Künstlerfreund zu sagen, daß er keine gute Kunst macht, ist viel schwieriger mit „Du“. Oder daß man ihn nicht ausstellt.

Haben Sie jemals einen Pinsel in die Hand genommen?

Ich habe natürlich gemalt und gezeichnet, aber immer ohne jeden Anspruch ans Künstlerische. Ich habe nie den leisesten Wunsch gehabt, Künstler zu werden.

Keine Aquarelle im Urlaub?

Nein, nein. Seit 20 Jahren nicht mehr. Ich bin nicht begabt. Ich lese lieber oder wandere.

„Ich habe nie den leisesten Wunsch gehabt, Künstler zu werden. Ich bin nicht begabt.“ Thomas Deecke in seinem Museum.Foto: Tristan Vankann

Wo wohnen Sie?

Im Fedelhören, gegenüber von Cafe Grün. Das ist eine winzige Wohnung, die ich so lange habe, bis meine Frau nachzieht von Berlin. Meine Tochter macht dort noch das Abitur.

Was macht Ihre Frau?

Sie ist früher Fotografin gewesen und jetzt Hausfrau. Und Kompagnon. Ich diskutiere über Kunst mit niemandem soviel wie mit ihr.

Und Ihr Sohn?

Er studiert Geschichte, unter anderem. Er gehört zur Hausbesetzerszene in Berlin. Zu meinem Vergnügen.

Ja?

Ich trage das sehr mit, finde das sehr gut. Ich bin sehr zufrieden über unsere Erziehung zur Selbständigkeit.

Wo trinken Sie in Bremen am liebsten Ihr Bier?

Ich bin eigentlich ein Mensch, der sehr viel alleine sein kann. Jetzt bei dem schönen Wetter trinke ich gern ein Bier bei Roland, gelegentlich mal im Cafe Grün. Ich bin kein Typ für Stammkneipen.

Wo sind Sie am liebsten allein?

Auf dem Fahrrad. Oder in meiner Wohnung. Ich schreibe. Vorträge. Für die Schublade.

Gedichte?

Nein nein nein. Wenn mich Künstler bitten und es mich inter

hierhin bitte das

Foto von dem Mann,

der sich von rechts

ins Bild lehnt und

in einen kleinen

Spiegel schaut

essiert, schreibe ich gern über sie. Ich arbeite auch für ein Künstlerlexikon an Monographien von einzelnen, wichtigen Künstlern.

Die Sammler dürfen durch eine Ausstellung hier eine Wertsteigerung ihrer Sammlung erwarten; das Museum wird kurz vor der Wahl eröffnet; fürchten Sie eine Instrumentalisierung?

Das sind zwei Fragen. Was die Wertsteigerung angeht: Wir leben in einer Gesellschaft, die — leider — das Geld zum eigentlichen Kriterium ihres Handelns gemacht hat. Sogar ein abgefahrenes Bein wird mit Geld aufge

„Ich duze mich mit sehr wenig Leuten.“

wogen. Wir können die Kunst davon nicht ausnehmen. Jede Ausstellung, selbst im kleinen Kunstverein von Ganderkesee, verändert das Preisgefüge. Das hat einen großen Nachteil: Die Versicherungen werden immer teurer. Andererseits: Keiner meiner Sammler ist scharf darauf, das Museum als Durchlauferhitzer anzusehen. Die allermeisten haben noch nie ein Kunstwerk verkauft, allenfalls haben sie ein nicht ganz so gutes Bild durch ein noch besseres von dem Künstler

ersetzt.

Das andere Thema: Mit dem Termin vor der Wahl habe ich kein Problem. Daß die SPD mit dem Museum Wahlkampf macht, habe ich noch nicht bemerkt. Ich könnte es auch nicht verhindern.

Sind Sie geübt im Umgang mit Sponsoren?

Nicht sehr. Ich lerne es gerade. Die Bremer Mentalität macht es einem nicht leicht. Sie sind abwartend hier und sitzen auf ihrem Geld.

Der Etat für eigene Ausstellungen zeitgenössischer Kunst ist knapp bemessen.

Es ist gar kein Problem, irgendeine Firma zu gewinnen, eine Dali/Chagall/Nolde-Ausstellung zu machen. Die finanziert sich fast von alleine. Wir wollen aber hier Kunst zeigen, die es den Leuten nicht so ganz einfach macht, zu konsumieren. Dafür mutige Sponsoren zu finden, die sagen, das ist es uns wert, unsere Modernität zu beweisen, das machen eher die ganz Großen. Aber die haben in Bremen nicht ihre Zentralen.

Wie finden Sie die Bremer Szene?

Ich bin überrascht, wie lebendig sie ist. Man braucht aber lange, um das festzustellen. Sie ist sehr nach innen gerichtet. Das ist ihr Fehler, sie vergleicht sich zu we

nig mit anderen. Sie leidet ein bißchen unter der gutgemeinten Unterstützung durch ABM-Stellen und Künstlersozialförderung; das macht die Szene unbeweglich. Ich hoffe, daß das neue Museum einen Impuls bringt. Dann bekommt die Kommunale Galerie wunderschöne Räume. Und wir haben das wahnsinnige Glück, daß das Überseemuseum und das Focke-Museum neue Leitungen bekommen — alles jüngere Leute. Die Chancen sind gut wie noch nie, hier in Bremen eine Kulturinitiative zu starten. Interview: Burkhard Straßmann