Gewalt von rechts steigt deutlich an

■ Eine zunehmende Zahl von Straftaten geht auf das Konto rechtsorientierter Gruppen/ Großer Rechtstrend vor allem im Ostteil der Stadt/ Auch die sogenannten »Stinos« schlagen häufiger zu

Berlin. Die Skinheads verzichteten auf ein Klingelzeichen. Gegen 22.00 Uhr traten sie die Tür einer Wohnung in der Berliner Plattenbau-Vorstadt Marzahn ein und verprügelten den 21jährigen Bewohner. Nachdem sie die Einrichtung demoliert hatten, verschwanden die Schläger mit einer erbeuteten CB-Funkanlage. Am gleichen Abend wurde in Pankow ein 26jähriger Mann nach dem Verlassen eines Jugendklubs mit einem Baseball-Schläger niedergeschlagen. Passanten fanden ihn auf dem Bürgersteig. Die Täter: Skinheads.

Die Vorfälle, geschehen in Ost- Berlin, gehören zu den rund 470 Gruppendelikten, die inzwischen Monat für Monat in der Millionenstadt von acht- bis 25jährigen begangen werden. Eine zunehmende Zahl von Straftaten — in erster Linie Raub und Körperverletzung — geht dabei auf das Konto rechtsorientierter Gruppen. »Ohne Zweifel haben wir derzeit einen ganz großen Rechts- Trend«, sagt Kriminalhauptkommissar Wolfgang Zirk von der Polizeiarbeitsgruppe Gruppengewalt.

Zu den rechtsgerichteten Jugendlichen, die vornehmlich den Osten der Stadt terrorisieren, gehören nicht nur die rund 600 Skinheads aus den Ostbezirken. Es sind auch sogenannte »Stinos« (Stinknormale), die weder glatzköpfig sind noch Bomberjacken oder Springerstiefel tragen. Auch die »Pimpf-Frisur« aus den 30er Jahren kommt wieder in Mode. Gemeinsamer Nenner aller rechtsorientierten Gruppen ist aber die Gewaltbereitschaft und die Aggression gegen Minderheiten, besonders gegen Ausländer. Das äußere Bild trügt mitunter, denn es gibt auch sogenannte Red Skins, die sich selbst als linksgerichtet bezeichnen.

Oft, so Experten, ist rechtsradikales Verhalten nur aufgesetzt. Desorientierte junge Menschen wollten mit Tabuverletzungen provozieren. Ein Junge habe ein Hakenkreuz als Abzeichen aus dem Ersten Weltkrieg bezeichnet, berichtet ein Polizeibeamter. Zirk befürchtet auch, daß sich andere Gruppen — aus dem links-autonomen Bereich — von der rechten »Anmache« zu sehr provoziert fühlen und sich auf das sogenannte »Fascho-Klatschen« verlegen.

Ob aufgesetzt oder nicht, die Zahl der strafbaren Delikte von rechts steigt in Berlin ständig an. So wurden von Januar bis Mai dieses Jahres 144 Farbschmierereien, davon 110 Hakenkreuz-Graffitis, gezählt. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 86 gewesen, davon 71 Hakenkreuzsymbole. Insgesamt stieg die Zahl der Straftaten von rechts um 67 Delikte auf insgesamt 440. Ein »Sieg-Heil-Ruf« in der Öffentlichkeit kann teuer zu stehen kommen. Bei über 21jährigen werden in der Regel 30 Tagessätze verhängt, was bei Normalverdienern einen Betrag von 1.000 bis 1.500 Mark ausmacht. Wiederholungstäter müssen mehr zahlen. Werden junge Menschen bis 21 erwischt, ordnet die Justiz meist Freizeitbeschäftigungen an.

Trotz des Anstiegs rechtsradikaler Gewalt haben festgefügte rechtsextreme Gruppierungen in Berlin derzeit wenig Erfolg. Organisationen wie die »Nationale Alternative« (NA) oder die »Freiheitliche Arbeiterpartei« (FAP) haben insgesamt nur etwa 50 bis 100 Gefolgsleute. »In Berlin ist die Welt in Ordnung«, sagt ein Mitarbeiter des Polizeilichen Staatsschutzes. Er begründet dies mit der früheren Sonderstellung West-Berlins, die Rechtsextreme abgeschreckt habe. Ferner verlagere die rechte Szene ihren Schwerpunkt in die neuen Länder, speziell nach Sachsen, weil dort offenbar mehr Anhänger zu finden seien. Christian Böhmer (dpa)