Kein Rathaus für Rollstuhlfahrer

■ Rotes Rathaus bleibt eine Baustelle, wenn Diepgen einzieht/ Aufzüge fehlen/ Neben Diepgen arbeitet nur Bürgermeisterin Bergmann im Osten/ Vielleicht folgt Gesundheitssenator Luther

Berlin. Wenn Wolfgang Schäuble, der Bundesinnenminister und Berlin-Fan, demnächst Eberhard Diepgen in dessen neuem Amtssitz besuchen will, muß er erst mal in den Lastenaufzug. Ab Oktober will der Regierende Bürgermeister im Roten Rathaus residieren, doch rollstuhlgerechte Aufzüge gibt es dort frühestens im nächsten Jahr. Den einzigen Paternoster habe der TÜV schon vor einem halben Jahr wegen defekter Bremsen stillgelegt, bedauert Walter Hinkefuß, der für die Senatskanzlei die Umbauarbeiten im Roten Rathaus leitet.

Ob Berlin demnächst wirklich die größte vom Menschen bewohnte Baustelle der Welt sein wird, ist noch offen. Sicher ist, daß die Stadt ab Oktober von einer Baustelle aus regiert wird. Mit manchmal über 100 Bauarbeitern übersteigt deren Zahl im Roten Rathaus zur Zeit noch eindeutig die der Schreibtischarbeiter. Doch schon Ende September sollen die gut 300 Mitarbeiter der Senatskanzlei komplett das Rathaus Schöneberg verlassen haben und in Berlin-Mitte sitzen. Wenn die Räume — Diepgens künftiges Amtszimmer im ersten Stock inklusive — wirklich rechtzeitig fertig werden, kann sich Hinkefuß glücklich preisen. Blechrohre, Dämmplatten, Schutthaufen und Kabelrollen werden auf alle Fälle noch lange seinen Weg durch die Flure säumen.

Der rasche Umzug der Regierungszentrale ist das, was die Beamten eine »politische Entscheidung« nennen: Sachlich ist sie nicht zu rechtfertigen, für die politische Symbolik dagegen unumgänglich. »Keiner« könne sagen, ob es noch drei Jahre dauert oder sogar fünf, bis der Umbau beendet ist, sagt Hinkefuß. Aufträge für insgesamt 15 Millionen Mark hat der Senat bisher vergeben. Nach den Gesamtkosten hat noch keiner gefragt.

Drei der vier Fassaden hatte der alte SED-Oberbürgermeister Krack schon 1987 zur Berliner 750-Jahr- Feier erneuern lassen. Einige repräsentative Hallen wurden damals ebenfalls frisch gestrichen. Doch hinter dem Putz veränderten die Sozialisten nichts. Eine sogenannte »Netzwache« mußte bis vor kurzem die Defizite in der Stromversorgung ausbügeln: Zwei bis drei Mann schraubten die Sicherungen rasch wieder in den Kasten, wenn das Netz zusammenklappte. Kaum belastbarer waren die Stränge für Telefon, Wasser und Abwasser. An einigen Stellen zogen die Bauarbeiter jetzt Eisenträger ein — um den Einsturz der Decken zu verhindern.

Kein Wunder also, daß bisher nur eine einzige Senatorin ihren Schreibtisch in den Ostteil verlegt hat: Christine Bergmann, die Arbeitssenatorin und Bürgermeisterin, sitzt seit einigen Monaten im alten Stadthaus, direkt gegenüber vom Rathaus. Auch ein Teil ihrer Behörde arbeitet bereits in dem Gebäude, das zuletzt den Ministerrat der DDR beherbergt hatte. Der Rest der Bergmann-Verwaltung soll bis Ende des Jahres ebenfalls in Ost-Berlin ansässig sein, in einem Plattenbau in der Storkowerstraße.

Drei weitere Senatsverwaltungen — Umweltschutz, Kultur und Wissenschaft — sollten eigentlich ebenfalls umziehen. Diese Pläne haben sich jedoch vorerst zerschlagen. Das Haus in der Behrenstraße 42/45 beispielsweise, in das die Wissenschaftsverwaltung ursprünglich verpflanzt werden sollte, mußte teilweise gesperrt werden — »wegen akuter Einsturzgefahr«, bedauert Werner Droege, der oberste Raumplaner der Senatsinnenverwaltung. Neben Bergmann und Diepgen ist Gesundheitssenator Peter Luther zur Zeit Droeges einziger Kandidat für die Ostverschickung.

Er könnte mit seiner Behörde in die Parochialstraße ziehen, gleich um die Ecke vom Stadthaus. Alle anderen Westberliner Senatsmitarbeiter dürfen erstmal an den alten Plätzen im Westteil bleiben — und ihre Einkünfte ungeschmälert behalten. Bei einer Versetzung in den Osten wird die Berlin-Zulage nämlich nur noch an diejenigen ausgezahlt, die bereits am 3. Oktober 1990 in Senatsdiensten standen. Eberhard Diepgen ist das prominenteste Opfer — schließlich hat er erst seit dem 24. Januar ein Arbeitsverhältnis mit dem Senat. hmt