Amphibische Kampfhunde mit viel, viel Senf

■ Grauenerregende Trainingseindrücke vom umstrittenen 35. Internationalen ADAC-Motorbootrennen auf dem Langen See in Grünau: Stinkender Rizinus-Methanol-Sprit umnebelt den Verstand

Grünau (taz) Elektrisiert begaffen Dutzende von Neugierigen das Motorrennboot, das gleich zu Wasser gelassen wird. Dann endlich brüllen die PS auf. Heulend jagt der hochgezüchtete Bolide eine unerträgliche Rizinus-Methanol-Mischung, laut ADAC eine besonders schadstoffarme Entwicklung, unter das Volk. Die Probanden inhalieren das Zeug dankbar ein, als wäre es der Odem eines neuen Lebens. Die 91 Dezibel, mit denen die 1.000 Kubikzentimeter Hubraum über das Wasser entschwinden, erinnern sie daran, daß es tatsächlich schlecht stand um ihren Liebling, den ökologisch schwachsinnigen Motorbootsport.

1989 fand auf der Havel der vorerst letzte amphibische Sündenfall statt. Dann drehte Rotgrün im Westberliner Senat den stinkenden Benzinhahn zu, doch das Verwaltungsgericht genehmigte dieses Wasserrodeo für 1991 wieder, wenngleich mit Auflagen, was den ADAC zu einem Loblied auf die Natur provozierte. „Hier“, am Tatort Langer See, lobhudelt das Programmheft wie unter Auflagen, „kann man Natur pur genießen. Schon der Geruch frischen Wassers an der linken und der Kiefernduft an der rechten Seite ... machen den Weg lohnend.“ Schade nur, daß man davon nicht das Geringste mitbekommt. Postkarten riechen nicht. Statt dessen höhlt das ätzende Rizinus-Methanol den Verstand.

Das ist genau das, was die Fangemeinde braucht. Der Duft von Pferdestärken und Hubraum steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Die vornehme Kneipenbräune schamhaft mit einer Sonnenbrille bedeckt, lassen die aufstrebenden Kaufhausdetektive und ambitionierten Friseusen vor Veranstaltungsbeginn eigentlich nur ihre Bäuche über die Gürtel schwappen. Bockwurst mit Kartoffelsalat und Senf, Unmengen von Senf, sind ihr Milieu. Dazu ein, zwei, vierzehn Bierchen vom Faß. Erst ein röhrender Motor bringt den Kreislauf in Wallung. „Mister Mojo risin'“ läßt sein rasendes Liegekissen zu Wasser. Der Blick auf die beiden beeindruckenden Auspuffrohre lassen manchen die eigene Unfähigkeit vergessen, phalls damit etwas nicht ganz im Lot sein sollte. Mutig springen sie jedesmal hinter den dicken Schutzzäunen hoch, wenn wieder ein Motor gewässert wird. Aber wer schützt hier wen?

Solche Leute müssen Kampfhunde besitzen! Das unbestechliche Gefühl, zu einer Randgruppe zu gehören, die niemand so richtig lieb hat, muß schließlich gesichert werden. Schließlich zählten die Wassersportler in der verflossenen DDR — noch lange vor der unheiligen SPD/ AL-Allianz — sogar zu den besonders Geknechteten. Einst stand nämlich am Ufer des Langen Sees ein Pflanzenrondell mit einem architektonisch reizvollen Stein, in den zu Ehren Kaiser Wilhelms I. fast 300 Sportvereine von Elsaß-Lothringen bis Ostpreußen ihre Namen eingraviert hatten. Fortan pilgerten zu diesem Wallfahrtsort in Grünau Tausende von „Sportlern“, bis die SED 1973 dem Stein den Garaus machte.

So gesehen, wird die Dünnhäutigkeit der Motorbootanhänger umso verständlicher. Sensibles Fingerspitzengefühl ist also im Umgang mit dieser oppositionellen Gruppierung angebracht.

„Darf ich mal fragen, was Sie unter Ökologie verstehen?“ Die Frage des taz-Reporters an Fahrer und Publikum ist so ziemlich das Dümmste, was man an diesem schwülwarmen Nachmittag anstellen kann. „Haben wir denn nie Ruhe vor euch Nörglern!?“ signalisieren die Gesten der zugänglichen PS-Fraktion. „Willst du dir bei dieser Hitze auch noch heiße Ohren einfangen“, donnert es aus der anderen Richtung.

Fürwahr, mit Umweltfragen mußten sich diese LeidgeplagtInnen [!? d.K.] bis dato intensiver auseinandersetzen als NormalbürgerInnen. Rein aus taktischen Gründen. Zum Glück gibt es ja noch den großen Bruder ADAC („Unser Sport — Motorsport“), der einem das Denken und Argumentieren gegen eine Mitgliedsgebühr abnimmt. Der Kollaps des Ökosystems? Ein erneuter Zusammenbruch der Inntalbrücke wäre weit schlimmer! Der Völkerkonflikt in Jugoslawien? Wenn sich der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club uns anschließen wollte, würden wir auch schießen!

So halten es die Motorsportler lieber mit Wilhelm II., der ausrief: „Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser.“ Daß der Monarch als überzeugter Ruderer keinesfalls zu ihrer Lobby gezählt hätte, verschweigen die ADAC-Jünger natürlich. Jürgen Schulz