DEBATTE
: Unabhängigkeit ja — aber wie?

■ Für die Auflösung Jugoslawiens müssen Prozeduren gefunden werden

Bei der Auflösung des jugoslawischen Geheimstaates steht an einem Ende die Gefahr jener unberechenbaren nationalistischen Kräfte, die auf Waffen sitzen und bei ihrem Sturz vom Thron bereit sind, alles mit sich in den Tod zu reißen. Am anderen Ende lauert die Gefahr, daß der Auflösungsprozeß sich durch panikartige Reaktionen in einer unkontrollierbaren Erosion entlädt, die den gesamten Balkanraum zusammenstürzen läßt.

Als für kurze Zeit die Option einer internationalen Anerkennung der Souveränität von Slowenien und Kroatien als einzige Möglichkeit, den Krieg zu bannen, von den europäischen Politikern aufgeworfen wurde, hat diese bloße Ankündigung eine entscheidende, entschärfende Rolle gespielt. Es ist dennoch vernünftig gewesen, es zunächst beim Ankündigen belassen zu haben.

Denn so stark in Slowenien und Kroation der Wunsch nach Auflösung des Gesamtstaates ist — diese Auflösung ist kaum verbreitet. Beide Republiken, wie übrigens auch die restlichen vier, haben sich nur um die eine Seite bemüht: ihre Eigenständigkeit auszuarbeiten. Den Gesamtstaat dagegen haben sie weitgehend den kommunistischen Satrapen überlassen. Die Aggression der Zentrale ist unter anderem auch dadurch möglich geworden. Es gab keine gemeinsame Strategie der nach Unabhängigkeit strebenden Republiken, die Zentrale zu entmachten. Den gemeinsamen Gesamtstaat auf friedlichem und rechtlich gesichertem Wege auseinanderbauen, kann man eben auch nur durch gemeinsame Anstrengung. Da aber die jugoslawischen Konfliktparteien dazu nicht in der Lage sind, bedarf es internationaler Hilfe.

Alleingang ist keine Kriegsvermeidung

Ein Alleingang der Slowenen, sich ohne Rücksicht auf andere von Jugoslawien zu verabschieden, kann kein Weg zur Kriegsvermeidung sein. Im Gegenteil, er würde sofort die Kriegsgefahr steigern. Die Slowenen mögen ihr Schicksal im Balkanstaat verfluchen, aber sie können ihm nicht im schnellen Lauf entrinnen. In Slowenien sagt man sich: „Mit denen da unten haben wir doch gar nichts gemeinsam. Wir Slowenen sind anders, und unsere Probleme sind andere. Die Last der Geschichte, die am kroatisch-serbischen Verhältnis hängt, ist nicht die unsere. Für uns als Mitteleuropäer sind die Mazedonier und Moslems Exoten, mit denen wir kein Jota mehr Gemeinsames haben als die anderen Europäer. Es gibt keinen Grund für uns, mit all denen zusammenzuleben, aber viele, sich von dem von Kommunisten und anti-europäisch gesinnten Serben beherrschten Staat zu trennen, der uns ausbeutet und jetzt zuletzt bekriegt.“ Ich kann diese Gefühlslage nachvollziehen, aber sie reicht weder dafür, sich rechtswirksam aus dem Gesamtstaat loszukaufen, noch dafür, einen neuen Staat erfolgreich zu gründen.

So haben die Slowenen wie die Kroaten auch ihren unabhängigen Staat ausgerufen, ohne irgendwelche Verhandlungen mit dem jugoslawischen Staat und der internationalen Staatsgemeinschaft geführt zu haben. Dies ist von der Zentrale, aber auch von der Staatengemeinschaft als ein einseitiger Akt bezeichnet worden. Hier bedarf es einer präzisen Unterscheidung: Einerseits ist eine gewisse Einseitigkeit bei der Bekundung des gemeinsamen Willens zum eigenen Staat unvermeidbar. Sie ist auch legitim und legitimiert durch demokratische Willensäußerung des gesamten Volkes in beiden Fällen — dem slowenischen wie dem kroatischen. Beiden Völkern blieb gar nichts anderes übrig, nachdem Belgrad beharrlich alle Ansätze zu Verhandlungen blockiert hatte. Auch der Austausch der Grenztafeln mit der Aufschrift „Jugoslawien“ durch solche mit der Bezeichnung „Slowenien“ hätte noch auf der gleichen Ebene als symbolische Bekräftigung der Eigenständigkeit bleiben können, hätte es die Aggression der jugoslawischen Generäle nicht gegeben. So hat Stipe Mesic gleich nach der Übernahme des Vorsitzes im jugoslawischen Staatspräsidium zu recht gesagt, daß ein paar Grenztafeln keinen Einsatz der Armee rechtfertigen. Aber durch diese Aggression haben die Tafeln und die Souveränitätserklärungen eine qualitativ andere Bedeutung bekommen: Die Abspaltung wird dadurch real und in dieser Form problematisch.

Es kann sein, daß durch das Verhalten der Armee und der Belgrader Zentrale tatsächlich nichts anderes mehr übrigbleibt, als die beiden Republiken als unabhängige Staaten anzuerkennen. Aber eben deshalb muß man sich der Folgen bewußt werden, sollte dies passieren, ohne daß der gesamte Rahmens des Vielvölkerstaates berücksichtigt wird.

Man mußte sich beispielsweise fragen, welche Bedeutung der Präzedenzfall einer einseitigen Grenzänderung, wie sie wohl eine Zeitlang in der Luft lag, für den Vielvölkerstaat hätte haben können. Was bedeutet es staatsrechtlich, wenn der slowenische Informationsminister Jelko Kacin sagt, daß Jugoslawien keine Grenzen mehr mit Österreich und Italien habe? In welchen Grenzen bleibt dann das Restjugoslawien nach slowenischer Meinung — und hebt der Austritt Sloweniens auch die kroatisch- beziehungsweise montenegrisch-italienische Grenze auf?

Diese Fragen sind auch deshalb besonders heikel, da man von Belgrad aus das Projekt der Konföderation zu verhindern suchte, so daß gerade die Befürworter des Staatenbundes auf dem Grundsatz der Nichtänderung der Grenzen — der inneren wie der äußeren — beharrten. Das Projekt Staatenbund beinhaltet freilich auch die Änderung des Charakters der Grenzen beziehungsweise der hoheitlichen Zuständigkeiten dort. Darüber jedoch wurde in Jugoslawien weder öffentlich diskutiert noch überhaupt nachgedacht. Gleichzeitig wird die territoriale Erweiterung von Serbien auf Kosten von Kroatien und Bosnien — obwohl bar jeder Legitimität — militärisch schon vorbereitet.

Wenn es dazu kommt, daß die Umstände in Jugoslawien dazu zwingen, Slowenien und Kroatien als unabhängige Staaten international anzuerkennen, dann muß man dafür sorgen, daß dabei das Selbstbestimmungsrecht anderer Völker und Minderheiten in Jugoslawien nicht verletzt wird. Slowenien, aber auch Kroatien haben nach dem gerade noch unterbundenen Amoklauf der Generäle vor allem auch durch die internationale Solidarität eine Position erreicht, von von der aus auch eine stabile Neuordnung geschaffen werden können.

Was wird aus dem Kosovo?

Einen Krieg auf dem Balkan würde man nicht verhindern, wenn man Slowenien und Kroatien als unabhängige Staaten so anerkennen würde, daß sie sich aus der jugoslawischen Völkergemeinschaft nach Gutdünken verabschieden könnten. Was bliebe dann den Albanern in Kosovo anders übrig, als sofort die Vereinigung mit Albanien zu verlangen, ja notfalls dafür zu kämpfen? Im gleichen Zug würden andere Zerfallsprozesse sich beschleunigen: Teilung von Bosnien/Herzegowina, Spaltungen von Mazedonien und so weiter. Es müßte klar sein, vor welcher Alternative man augenblicklich steht: die Auflösung des Staates doch noch friedlich und durch verbindliche und international anerkannte Rechtsakte herbeizuführen oder einen unkontrollierbaren Erosionsprozeß zuzulassen, bei dem noch viel, viel mehr Blut fließen kann.

Das allerwichtigste im Moment ist, daß die Weltöffentlichkeit und die europäischen Politiker im Land bleiben. Daß sie überhaupt dort sind, ist den Slowenen zu verdanken. Einer, der willens ist, dafür zu sorgen, daß sie dort bleiben, ist Staatspräsident Stipe Mesic.

Um die jugoslawische Soldatestka und verblendete serbische Nationalisten zu besiegen, braucht man nicht so sehr Waffen als die Weltöffentlichkeit. Die europäischen Beobachter und die internationalen Fernsehteams können wesentlich dazu beitragen, daß der Bürgerkrieg in Jugoslawien verhindert wird. Um die serbischen Terroristen in Knin und ihren Helfershelfer aus der Armeespitze das Handwerk zu legen, braucht man keine amerikanische militärische Hilfe, wohl aber CNN. Dunja Melcic

Die Autorin stammt aus Kroatien und lebt als freie Publzistin in Frankfurt/Main.