In die Disko nur mit Mädchen der eigenen Seite

In der slawonischen Kleinstadt Daruvar fiel noch kein Schuß zwischen Kroaten und Serben — aber Haß bestimmt den Alltag  ■ Aus Daruvar Roland Hofwiler

Das slawonische Kleinstädtchen Daruvar liegt weit abseits des Kriegsschauplatzes: Bis zur kroatisch-serbischen Grenze sind es an die zweihundert Kilometer. Aber auch hier in Westslawonien leben Serben, Kroaten, Ungarn und in kleiner Zahl Tschechen und Slowaken bunt gemischt zusammen. Und obwohl bisher in diesem malerischen Kur- und Weinstädten noch kein einziger Schuß fiel, haben alle Angst, es könne jeden Tag auch hier so losgehen) — so wie in Ostslawonien, wo längst keine Argumente, sondern nur noch Waffen sprechen.

Der Restaurantbesitzer Damir Zacskai meint zu wissen, was in den Köpfen der Daruvarer vor sich geht. „Eigentlich müßte jetzt Flaute sein“, meint der Wirt, „aber keiner nimmt Urlaub, fährt an die Küste, um sich zu entspannen, alle bleiben zu Hause, wollen ihr Häuschen, ihren Besitz bewachen, haben Angst vor den Terroristen, wie sie sagen.“ Die Terroristen, das sind die Serben. Denn in Damirs „Podrum“ kommen nur Kroaten, Ungarn und Tschechen auf ein Bier oder einen Wein. „Die Serben müssen draußen bleiben“, scherzt Herr Zacskai, „ebenso wie in anderen Lokalen ja auch uns der Eintritt verwehrt wird.“

Der Haß zwischen Kroaten und Serben ist in dem Städtchen überall zu merken. An einem Kiosk, an dem serbische Zeitungen ausliegen, gehen selbst kroatische Stammkunden ohne zu grüßen eiligen Schrittes vorbei, der Kiosk eines Zagreber Medienriesen weigert sich, neben kroatischen Blättern auch Zeitungen in anderen jugoslawischen Sprachen auszulegen. Wer ein Geschäft betritt, der schaut erst einmal auf das Öffnungsschild, dort steht wie überall in Jugoslawien der Name des Pächters oder Eigentümers. Fragt man die Passanten, ob sie darauf achten, geben sie unumwunden zu, bei Serben nicht mehr einzukaufen. Gleiches gilt, mit umgekehrten Vorzeichen, für die Kroaten. Gerüchte kursieren: Am Wochenende sei im kroatischen Fernsehen ganz klar zu sehen gewesen, daß serbische Terroristen die kroatische Bevölkerung in Borovo selo aushungern ließen und in Vukovar mit Granaten aus ihren Häusern trieben; selbst in den Vorstadtsiedlungen in Osijek werde Tag und Nacht gekämpft. Ein anderer Kroate hält einfach die neueste 'Vjesnik‘ hoch. Schlagzeile: „Über hundert Kroaten von Serben ermordet“ — dies allein in den letzten drei Monaten. Jeder zählt die Toten getrennt und trägt sie ohne jegliches Zeichen der Versöhnung zu Grabe. So zeigt es zumindest das Zagreber Fernsehen. Das serbische Programm aus Belgrad ist in Daruvar „aus technischen Gründen“ nicht zu empfangen. Das erbost die serbische Bevölkerungsgruppe.

In einem Café, dessen Pächter der serbischen Nationalität angehört, sitzen selbst Jugendliche mit langer Hippie-Mähne in traditioneller serbischer Kleidung. „Merkt ein Mädchen von der anderen Seite, daß ich Serbe bin, will sie mit mir nicht mehr in die Disko gehen“, sagt Drago. Er wäre schon längst in Belgrad, aber seine kränkliche Mutter habe Angst, allein in Daruvar zu bleiben, also sitze er herum, um das Elternhaus zu bewachen, Arbeit habe er keine. „Alle sind verrückt hier, warten, bis der Krieg kommt — und weil alle glauben, er wird kommen, glaub' ich auch, es kommt soweit“, meint Dragos Freund, der stolz ein paar tausend Dinar und ein paar hundert Mark vorzeigt, die er mit sich herumträgt, „um jeden Augenblick abhauen zu können“. Er würde sofort nach Ungarn flüchten, auch wenn er kein Wort Ungarisch spreche. Ihn störe nicht, daß die Ungarn derzeit den Kroaten näherständen als den Serben: „Als ich klein war, kamen 1955 die Ungarn in unser ach so freies Jugoslawien, und wir sagten, wie gut, daß wir Tito haben, uns kann nichts passieren, wir sind weit weg vom Osten — doch was ist jetzt?“ fragt er und versucht zu lachen

Daruvar, seit Jahrhunderten bekannt für seine Heilquellen, wird inzwischen nicht mehr von Menschen aus ganz Jugoslawien aufgesucht. Ein Arzt stellt bedauernd fest: „Die Menschen sind bei uns mittlerweile so paranoid, daß sie glauben, die Ärzte würden ihren nationalen Haß an den Patienten ausleben.“ Es sei überall in Jugoslawien so weit gekommen, daß sich ein Slowene nur noch von einem slowenischen Arzt, ein Kroate eben nur noch von einem kroatischen Arzt behandeln lasse, als wäre die Medizin keine Wissenschaft, sondern ans nationale Bekenntnis gebunden. „Sollte hier auch nur ein Schuß fallen, man würde das gesamte Kurpersonal dann dafür verantwortlich machen, wenn die Operation mißlänge“, fürchtet der Arzt.

Herr Zacskai zeigt an seiner eigenen Lebensgeschichte, daß der zwischennationale Haß das Leben in Darucar schon seit langem bestimmt. Als er in den ersten Nachkriegsjahren zur Welt kam, da wurde seinem Vater nahegelegt, sich nicht weiter „Zacskai“ zu nennen: das sei ein ungarischer Name, und die Ungarn seien „faschistoid veranlagt“. Jahrelang habe der Kampf mit den Behörden angehalten, und nur weil die Familie zeigte, daß sie immer schon prokroatisch eingestellt war, sei die Hartnäckigkeit seiner Eltern akzeptiert worden. Er habe aber in der Schule immer wieder beweisen müssen, daß er ein wirklicher Kroate und kein Ungar sei. Die serbischen Polizisten im Ort neckten ihn noch vor vier Jahren. Denn eines Winterabends im Jahre 1988, da seien wieder zwei besoffene Polizisten in den Podrum gekommen und hätten gerufen: „Damir, du Ungarn-Schwein, schenk uns ein.“ Herr Zacskai gab auf gleicher Ebene zurück: „Leckt eure serbische Mutter am Arsch!“ Die Polzisten zogen ab. Am Tag darauf kamen sie wieder, Herr Zacskai landete im Gefängnis. Wegen „Verbreitung zwischennationalen Hasses und Beleidigung der Staatsgewalt“ bekam er neun Monate Haft. „Verstehen Sie jetzt, warum ich so aggressiv bin, wennn ich serbische Politiker höre? Ich versuche, mich zu beruhigen, zu reflektieren, aber es gelingt mir auch jetzt nicht immer“, gesteht Damir Zacskai und gibt eine pessimistische Prognose: Auch in Daruvar wird der Nationalismus bald zur Explosion führen.