INTERVIEW
: „Wir erleben eine Welle der Verunsicherung und Angst“

■ Jürgen Schmude, Präses der Evangelischen Kirche, zur Aufhebung des Abschiebestopps durch Bundesinnenminister Schäuble

taz: Herr Dr.Schmude, die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat einen dringenden Appell an den Bundesinnenminister gerichtet, seine generelle Verweigerung zu einem Abschiebestopp für in der Bundesrepublik geduldete Flüchtlinge zu revidieren. Wie würden Sie als Präses der Synode denn einen solchen Appell begründen, damit Herr Schäuble ihn auch versteht?

Schmude: Ich denke, der Bundesinnenminister begreift schon, daß es darum geht, eine generelle Unsicherheit und Bedrängnis für Menschen zu beenden, die in ihrem Heimatland Gefahr an Leib und Leben zu fürchten haben, ohne daß sie deswegen asylberechtigt sind. Wo im Heimatland geschossen wird, wo Menschen täglich sterben, aber das nicht aus politischen Gründen gegen einzelne gerichtet ist, gibt es keinen Asylanspruch, sehr wohl aber ein völkerrechtlich begründetes Bleiberecht. Das weiß man aber auch im Bundesinnenministerium und richtet sich auf diese Argumentation ein, freilich sehr zurückhaltend und ohne die Bedrängnis für die betroffenen Menschen zu beenden.

Das Innenminsiterium bestreitet aber gerade, daß die Abschiebungen zu unmenschlichen Situationen für große Gruppen von Flüchtlingen führen.

Ob die Gruppen groß sind oder nicht, lasse ich mal dahingestellt. Aber wenn es uns unterläuft, daß wir einzelne oder auch nur kleinere Gruppen von Menschen dahin schicken, wo uns die Zeitungen demnächst berichten, daß sie umgekommen oder in menschenrechtswidrige Behandlung geraten sind, dann ist das schon schlimm genug.

Nach den bisherigen Plänen sieht das Bundesinnenministerium nur noch für einen sehr eingeschränkten Kreis von Flüchtlingen einen generellen Abschiebeschutz vor. Andere, wie zum Beispiel Tausende von Tamilen, hätten höchstens noch durch eine Prüfung ihres jeweiligen besonderen Falles einen Schutz vor Abschiebung. Was geben Sie dem Bundesinnenminister dazu auf den Weg?

Ich würde ihm auf den Weg geben, daß eine Einzelfallprüfung zwar gut und schön ist. Aber in Fällen, in denen die Verhältnisse in dem Heimatland einer Abschiebung eindeutig widersprechen, darf man es nicht zahllosen Einzelfallprüfungen überlassen, Menschen Schutz zu gewährleisten. Dort ist wie bisher ein generelles Absehen von der Abschiebung geboten. Der Bundesinnenminister hat sich so eingelassen, daß er solche Bewilligungen des Abschiebeschutzes geben werde, wenn alle Bundesländer dies mittragen. Das heißt, daß auch die bayerische Staatsregierung und die baden-württembergische Landesregierung, die besonders restriktiv sind, mitzubestimmen haben, ob Schleswig-Holstein, Berlin, Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen bedrohten Flüchtlingen ein Bleiberecht geben dürfen oder nicht. Das ist keine praktikable Regelung. Was wir jetzt erleben, ist eine große Welle der Verunsicherung und Angst bei den Betroffenen, weil ihnen zunächst erst einmal in Aussicht gestellt wird, daß nun Schluß ist mit ihrer Duldung und ihrem Schutz. Und das halte ich nicht für vertretbar.

Auch die evangelische Kirche wird sich schwer dem derzeitigen Druck der öffentlichen Stimmung entziehen können, es gebe zu viele Flüchtlinge in der Bundesrepublik und Deutschland habe durch den Einigungsprozeß genug eigene Probleme zu bewältigen.

Zunächst einmal sind die Mitglieder der evangelischen Kirche deutsche Staatsbürger und Wähler und alles, was andere Menschen auch sind . Aber die Kirche als solche hat darauf hinzuweisen, daß wir gehalten sind, bedrängten Menschen Beistand zu leisten und daß wir dafür auch Opfer bringen müssen. Es reicht natürlich nicht aus, daß jemand aus noch so verständlichen Gründen die besseren Lebensbedingungen in der Bundesrepublik dem Leben in seinem Heimatland vorzieht. Aber die evangelische Kirche hat immer deutlich gemacht, daß wir diejenigen, die gute Gründe zum Bleiben haben, weil ihnen Gefahr droht, auch schützen wollen. Andere, die diese Gründe nicht haben, müssen zurückgeschickt werden. Da widersprechen wir nicht, wenn das geschieht.

Aber die jetzt anstehende Neuregelung betrifft Gruppen von Menschen, bei denen der Abschiebestopp bisher nicht aus bloßer Großzügigkeit oder Angst vor klaren Entscheidungen verfügt worden ist. Sondern weil klar ist, daß den Betroffenen in ihrer Heimat Gefahren drohen. Deshalb auch der klare Appell der Synode der evangelischen Kirche.

Nehmen wir an, der Bundesinnenminister erhört diesen Appell nicht, er läßt sich auch von der Kritik aus vielen Bundesländern nicht umstimmen. Wie wird sich die evangelische Kirche dann verhalten. Werden die Kirchen, wie auch in der Vergangenheit, Zufluchtsorte für abschiebungsbedrohte Flüchtlinge werden?

Erst einmal gehe ich davon aus, daß das Gespräch mit dem Bundesinnenminister noch nicht abgeschlossen ist und ich rechne nicht damit, daß er sich allen berechtigten Appellen stur verschließt.

Im übrigen aber müssen einzelne evangelische Christen wissen, was sie tun. Ein generelles Kirchenasyl derart, daß man in Kirchen Menschen aufnimmt und der Polizei den Zutritt verweigert, gibt es nicht und hat es nicht gegeben. Wer aber meint, er müßte trotzdem Menschen helfen, weil er sie in Bedrängnis sieht, die Behörden aber nicht, der muß das selbst verantworten. Der wird in dem Konflikt sicherlich auch den Schutz seiner Pfarrer und seiner Kirche haben. Aber wir haben nicht das Recht zu sagen, der Staat dürfe da nichts unternehmen und wir verweigern ihm den Zugriff. Interview: Vera Gaserow