Wie obszön ist Doris Day?

In den USA nimmt der Kampf gegen die Pornographie recht bizarre Formen an. Die selbsternannte „Branche Erwachsenenunterhaltung“ hat inzwischen unter der Parole „Recht auf freie Rede“ einen großangelegten Gegenangriff gestartet, um ihrerseits besorgte Moralisten zu stoppen. Die Gruppe „Free Speech Legal Defense Fund“ benutzt sogar George Bush für ihre Sache und zitiert den US-Präsidenten in einer Anzeige mit den Worten: „Ironischerweise müssen wir am 200. Jahrestag der amerikanischen Verfassung feststellen, daß das Recht auf freie Rede verletzt wird.“ Dann heißt es in der Annonce weiter: „Aber der Präsident sagt nicht, daß hinter den Angriffen auf das Recht der freien Rede häufig die Regierung steht.“

Für die Pornobranche, deren stärkste Vertreter hinter der Free- Speech-Gruppe vermutet werden, sind Razzien und Kontrollen nichts Neues. Was ihr angst macht, ist die Wucht und die neue Taktik des Angriffs ihrer Gegner. Die suchen nämlich nicht mehr nur nach der Quelle des obszönen Materials, sondern nehmen jetzt auch Großhändler, Verkäufer und sogar Entleiher von Pornofilmen aufs Korn. Allein im Raum Los Angeles fanden seit März über 40 Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen bei Herstellern und Verkäufern von sogenannten Erwachsenenvideos statt.

An der Spitze der Antipornographen steht Patrick Trueman aus Minnesota, Chef der Justizabteilung gegen Kindesmißbrauch und Obszönität. Mit einem Stab von 20 Mitarbeitern, darunter 13 Anwälte, und einem Jahresbudget von 1,7 Millionen Dollar verfolgt Trueman das von US-Justizminister Richard Thornburgh gesteckte Ziel, „Pornographen in jedem Staat der Nation unter Anklage“ zu stellen. Dabei schießen die Moralwächter allerdings sehr oft weit übers Ziel hinaus und bieten damit dem „Free Speech Legal Defense Fund“ eine breite Angriffsfläche. So zeigen die Kämpfer für die Erwachsenenunterhaltung hämisch auf die Liste der inkriminierten Titel. Aus dem Musikbereich findet sich da zum Beispiel der Rap von „2 Live Crew“, der in Florida verboten ist. In Arlington (Texas) darf das Musical „A Chorus Line“ nicht aufgeführt werden. Bei den verbotenen Büchern sieht es noch schlimmer aus. Da finden sich Titel wie J.D. Salingers „Der Fänger im Roggen“ oder Kater „Garfield: Seine neun Leben“, und in Calhoun County, Alabama, steht seit 1982 die Autobiographie der Schauspielerin und Tierschützerin Doris Day auf dem Index. Karl Wegmann