INTERVIEW
: „Ich halte Herrn Kohl für zu freigiebig“

■ Wolfgang Roth, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag: BRD kann nicht Alleinfinanzier der UdSSR sein

taz: Helmut Kohl wirbt unermüdlich um wirtschaftliche und politische Unterstützung für Gorbatschow, während Sie vor dem Londoner Wirtschaftsgipfel erklären, weitere Finanzhilfen an die Sowjetunion seien unzumutbar.

Wolfgang Roth: Ich bin in der Tat der Auffassung, daß die Bundesrepublik am Rande ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit ist, und daß andererseits die Vereinigten Staaten auf dem Balkon sitzen und das Ganze ohne wirkliche Beteiligung betrachten. Dasselbe gilt für England und Frankreich. So kann das nicht weitergehen. Das wichtigste, was die Franzosen und Engländer beigetragen haben, war der Streit darüber, ob die europäische Entwicklungsbank ihren Sitz in Paris oder London haben wird, dabei hätte sie natürlich nach Prag gehört. Ich finde, daß mit Ausnahme der Bundesrepublik — und da im Konsens aller Parteien — die übrigen westlichen Industriestaaten, vor allem Japan und die USA, die Dimension der Aufgabe überhaupt noch nicht erkannt haben. Da kann man als Opposition durchaus der Bundesregierung den Rücken stärken, daß sie nicht permanent als Alleinfinanzier auftritt.

Ihre Intervention war demnach als Unterstützung der Kohlschen Politik gedacht? In der Öffentlichkeit kam eher an, Sie hielten die Bundesregierung für zu freigiebig.

Ich halte Herrn Kohl generell für zu freigiebig. Daß wir 17 Milliarden für diesen sinnlosen und völlig kontraproduktiven Golf-Krieg bezahlt haben, ist da ein Beispiel. Ich will das nicht mit der Hilfe für die Sowjetunion vergleichen, aber dahin kann man meiner Meinung nach auch nur dann Geld geben, wenn der Präsident ein klares Konzept vorlegt. Im Bereich der Wirtschaftsreform gibt es seit fünf Jahren nur Versprechungen, ohne einschneidende Konsequenzen. Sinnvolle wirtschaftliche Projekte aus dem Westen treffen in der Sowjetunion nach wie vor auf unhaltbare Zustände. Das können wir nicht einfach ignorieren mit dieser Mentalität der Deutschen: wir können alles finanzieren. Das geht nicht mehr auf.

Also doch Differenzen zur Politik Kohls gegenüber Gorbatschow?

Man muß einfach sehr klar sagen, daß es ohne drastische Reformen nicht geht, nicht nur wirtschaftliche Reformen, sondern auch politische Zugeständnisse an die Nationen. Die haben ein Anrecht auf mehr Autonomie. Ohne einen drastischen Föderalismus und im Einzelfall konföderative Beteiligung an der Sowjetunion wird es nicht weitergehen. In dieser Hinsicht gibt es nach wie vor massive Defizite. Ich bin nicht für Einmischung im Detail, aber Zeitpläne sind nötig, in denen festgelegt ist, wann welche Strukturen verändert werden, wann die wirtschaftliche Autonomie der Unternehmen stattfindet. Alles das ist bislang im Allgemeinen geblieben.

Es scheint, als nähme Kohl die Rede von der besonderen deutschen Verantwortung gegenüber der Sowjetunion doch ernster als die SPD, wenn Sie nun etwas lax erklären, der ökonomische Aufbau der UdSSR sei kein deutsches Problem.

Diese Verantwortung haben wir wahrgenommen. 60 Milliarden Mark sind ja nun wirklich nicht ohne Bedeutung. Doch ich habe Europa nicht so begriffen, daß die Deutschen für die Finanzierung Osteuropas zuständig sind und die Engländer und Franzosen für die Flüsterei auf den Kapitalmärkten, die D-Mark sei auch nicht mehr das, was sie mal war. Die Deutschen haben Vorleistungen erbracht, was ich nicht kritisieren will, und die Amerikaner sind nicht einmal bereit, die Blockade bei der Lieferung von Hochtechnologie im Rahmen des Cocom zu beenden. Auch das ist ein Teil der Bewegung, die ich verlange.

Die Erklärungen im Vorfeld des Gipfels geben wenig Anlaß zur Hoffnung, daß es zu einem gemeinsamen Hilfspaket für die UdSSR kommen wird. Wie könnte zumindest ein Teilerfolg für Gorbatschow aussehen?

Ich halte es für außerordentlich wichtig, daß die Sowjetunion zum ersten Mal als Partner auftritt, der in die Weltwirtschaft hineinwächst. Das hat Symbolcharakter. Ein gemeinsames Entwicklungsprogramm mit klaren Bedingungen für die Fortschritte bei der Wirtschaftsreform, an dem sich — proportional etwa zum Bruttosozialprodukt — die Gipfelstaaten finanziell beteiligen, wäre sicherlich ein Teilerfolg für Gorbatschow. In einer solchen Konstellation, in der dann auch die USA erstmals einen substantiellen Beitrag leisteten, wären auch weitere Leistungen der Bundesrepublik denkbar. Interview: Matthias Geis