Die Arroganz des Weltbankiers aus Tokio

■ Warum die japanische Regierung keinen Yen an Gorbatschow zahlen will/ China gilt als kreditwürdiger

„Die Zeit ist nicht reif“ für Michail Gorbatschow, entschied der japanische Premierminister Toskiki Kaifu während seiner Gespräche mit US-Präsident George Bush am Donnerstag in Kennebunkport im amerikanischen Bundesstaat Maine. Die Spannung auf dem G-7-Gipfel von London ist damit eigentlich verflogen. Denn gegen das Veto des Schatzmeisters der Weltwirtschaft wird keines der Teilnehmerländer für den Kreml alleine in die Tasche greifen wollen. Ohne Japan, dem größten Spender von Bankkrediten, Direktinvestitionen und Entwicklungshilfe auf der Welt, läßt sich in London kein nennenswertes Kreditpaket für Gorbatschow schnüren.

Mit der Arroganz des Weltbankiers hat Tokio den Kreml auflaufen lassen. „In der Tat verfügen wir über Informationen“, kommentierte Makoto Utsumi, der stellvertretende japanische Finanzminister, am Mittwoch vor ausländischen Journalisten, „von den theoretischen Plänen über die Wirtschaftsreform in der Sowjetunion. Doch verbleiben viele Punkte, die für uns nicht geklärt sind. Vielleicht wird nach dem Gipfel in London klarer, mit welcher Entschlossenheit Gorbatschow seine Pläne verfolgt. Das wäre wohl die erste Bedingung, bevor wir überhaupt über finanzielle Unterstützung diskutieren können.“ Das japanische Finanzministerium, ohne dessen Kreditbürgschaft die „Great Bargain“ wohl nur ein Schwindelgeschäft werden kann, hat damit aller Welt rechtzeitig vor dem Londoner Gipfel klargemacht, daß es Kredite an die Sowjetunion bislang nicht in Erwägung zieht.

Auch Nippons großen Banken ist dieses Signal nicht entgangen. „Unsere Einstellung zur Sowjetunion“, versichert Takeshi Tange, Chefmanager für alle internationalen Abwicklungen der Mitsubishi Bank, „unterscheidet sich nicht wesentlich von der Einstellung der Deutschen Bank, über die ja bereits viele Gelder nach Moskau geflossen sind. Doch wie die Deutsche Bank brauchen auch wir für Geschäfte mit der Sowjetunion die Rückversicherung durch die Regierung. Es besteht darin ein Konsens zwischen allen großen japanischen Banken. Auf rein kommerzieller Basis können wir nichts unternehmen.“

Das sind Worte, die den Kreml- Herrn noch mehr schmerzen dürften, als die erwartete Absage von Seiten der japanischen Regierung. Hatte sich nicht noch vor wenigen Monaten die größte Unternehmensgruppe der Welt, Mitsubishi, für die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion stark gemacht? „Es braucht zwar noch etwas Zeit“, hatte Hiroshi Sabe, Planungschef dieses Konzerns, im Januar erläutert, „bis das Geschäft zwischen Japan und der Sowjetunion anläuft, aber wir sind gewillt, den Handel zu organisieren.“

Gemeinsam mit den fünf anderen großen japanischen Handelshäusern hatte Mitsubishi der Sowjetunion einen Kredit über eine Milliarde Dollar in Aussicht gestellt, der jedoch bis heute in den Tresoren der Konzerne schläft. Denn in der Zwischenzeit haben sich die Regierungen in Tokio und Moskau erneut in den Territorialstreit über die vier von Stalin annektierten Kurileninseln verstrickt, der nun immer noch das Moskau-Geschäft in Japan erschwert.

Noch hat Japans Unternehmerschaft deshalb nicht resigniert. Gaishi Hiraiwa, der Vorsitzende des einflußreichen Unternehmerverbandes „Keidanren“, sprach sich erst vor wenigen Tagen erneut, entgegen der Regierungspolitik, für eine verstärkte Moskau-Unterstützung aus. Dabei erinnerte er an seine programmatische Neujahrsansprache, in der er Japan aufforderte, „trotz aller Einschränkungen alle Anstrengungen zu unternehmen, der Sowjetunion beim Wirtschaftsaufbau beizustehen“. Hiraiwas Rede sind freilich bisher keine konkreten Taten gefolgt.

Das „Nomura Research Institute“, eines der führenden volkswirtschaftlichen Forschungsinstitute Japans, erklärt Nippons Kreditgeiz gegenüber Gorbatschow derweil mit nüchternen Zahlen. Japan leide bereits unter einer Staatsverschuldung, die annähernd 40 Prozent des Bruttosozialprodukts erreicht. Damit sei die Grenze der finanziellen Möglichkeiten erreicht — zumal das seit fünf Jahren anhaltende Wirtschaftswachstum nicht mehr lange fortwähren könne. „Die G-7-Gespräche über die Sowjetunion“, befindet der Sprecher des Nomura-Instituts, „erwischen Japan in einem schlechten Augenblick. Japan ist eine Pazifik- Nation. Viele unser pazifischen Nachbarn leiden bereits unter der internationalen Geldknappheit. Für sie ist Japan noch vor der Sowjetunion verantwortlich.“

Gemeint ist damit vor allem die Volksrepublik China, der die G-7-Länder nach dem Massaker auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ die Kredite stoppten — gegen den Willen Tokios. Japans mächtige Ministerialbürokratie ist deshalb der Ansicht, daß die Verantwortung für den Wirtschaftsaufbau in China und der Sowjetunion zwischen Japan und Europa aufgeteilt werden müsse. Dabei ist die Frage, wer kreditwürdiger sei — Gorbatschow oder der alte Deng Xiaoping —, für Tokio längst entschieden. Chinas jüngste wirtschaftlichen Erfolge gelten dafür noch einmal als Beweis. Georg Blume, Tokio