Premiere mit einem Toten

Schießereien beim Start eines Ghetto-Films in den USA  ■ Von Andrea Seibel

Washington (taz) — „Jeder 21. schwarze amerikanische Mann wird ermordet, bevor er 25 ist — und meist geschieht dies durch einen anderen Schwarzen.“ Diese bittere Statistik im Abspann des am Wochenende landesweit in den USA angelaufenen Boyz'n the Hood („Jungs im Kiez“) macht auch vor dem cineastischen Raum nicht halt: In mehreren Städten von Los Angeles über Chicago bis Racine in Wisconsin kam es im Verlauf der letzten drei Tage in und um die Kinos zu Schießereien oder Prügeleien, bei denen ein Mann getötet und 30 Menschen verletzt wurden. Mehrere Theater stoppten daraufhin die Vorführung des Erstlingswerks des 23jährigen Schwarzen John Singleton über das Ghettoleben in Los Angeles. Schon vor einigen Monaten hatte es bei der Aufführung von New Jack City, einem anderen schwarzen Film über Gewalt und Drogen in den innerstädtischen Bezirken, Auseinandersetzungen gegeben. Ähnliches gilt für den 1988 gezeigten Colors über Banden in Los Angeles. Kritiker streiten jetzt mit Polizeikräften über den Zusammenhang zwischen der im Film gezeigten Gewalt und ihrer Fortsetzung vor oder hinter den Kinokassen. Straßenbanden gingen in solche Filme, um sich anzutörnen. Ist etwa das Kino schuld? Die Geschichte von Boyz'n the Hood dreht sich um Kindheit und — in einem Zeitsprung — um das Erwachsenwerden in einem auseinanderfallenden und verrohenden Viertel. Das Surren der Polizeihubschrauber wiegt die Kinder in den Schlaf, einmal finden sie beim Spielen eine verweste Leiche. Eingeklemmt zwischen Drogen, Gewalt und kaputten Geschlechterbeziehungen (Frauen werden nur als Huren bezeichnet — „bitches and hos“), gehen drei der Freunde begleitet vom Rhythmus eines aggressiven Rap „ihren“ Weg, während nur Tre, von der alleinerziehenden Mutter an den Vater weitergereicht, die Kurve kriegt: Der Vater ersetzt Liebe durch Autorität, und das zieht.

Geschichten wie die der Boyz liest man täglich. Dennoch ist ihre Dramatisierung auf packende Art authentisch. Weiße Schuld wird vorgeführt und schwarze Ohnmacht angeklagt, immer wieder. Das (schwarze) Kino scheint dieser Tage der einzige Ort außerhalb der Ghettos, wo sich diese Wahrheit mit all ihren Gesichtern zeigt.