Lieber Asbest einatmen als Kaugummi im Gesicht

■ Schöneberger Finow-Grundschule befindet sich seit gestern im Streik gegen übereilten Umzug/ Schulstadträtin Werkentin (AL) will die Räumung des asbestbelasteten Gebäudes forcieren/ Erschreckende PCB-Werte ließen wenig Zeit zum Handeln

Schöneberg. Eltern und Schüler der Schöneberger Finow-Grundschule an der Fuggerstraße proben seit gestern den Aufstand. Bis Donnerstag streiken 500 Pennäler gegen die geplante Verlegung ihrer Schule in die Scharmützelsee- und Giescheschule an der Hohenstaufenstraße. Seit Jahren weiß man an der Finow-Grundschule um die Asbestbelastung der Räume. Vor den Sommerferien wurden die Räume auf eine Belastung mit PCB, das als äußerst krebserregend gilt, untersucht. Das Ergebnis: Die höchste PCB-Belastung an allen untersuchten Schulen.

Für Schönebergs Schulstadträtin Karla Werkentin ein klarer Fall für einen Umzug: »Die Werte sind erschreckend. Die Schule hätte schon vor den Sommerferien umziehen sollen.« Doch dagegen wehrten sich die Eltern. »Die Werte gibt es schließlich seit Jahren. Wozu die plötzliche Hektik?«, fragt eine Mutter, die dafür eintritt, die Schüler in ihrer gewohnten Umgebung zu belassen. Die meisten Eltern wehren sich gegen die Art und Weise des Umzugs: In der Scharmützelsee- und Giescheschule sind bereits jetzt über 800 Kinder bis zur 10. Klasse untergebracht. Eine Schule mit weit über 1.000 Schülern sei unvertretbar, meinen die Eltern. Die Räume seien zu klein, der Schulhof zu eng und die Lehrer könnten ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen. Auch wehren sie sich gegen die geplante Unterbringung von 1. bis 4. Klasse und 5. und 6. Klasse an verschiedenen Standorten.

»Unterricht wäre in den neuen Räumen wegen des Platzmangels sicher nur unter erschwerten Bedingungen möglich«, glaubt auch eine Lehrerin, die gestern mit zwei Schülern dasaß. Die Solidarität unter den Eltern sei enorm, berichtet sie. Denn die sind sauer. »Eine geordnete Lösung mit langfristiger Regelung und nicht dieses Chaos« fordert Vater Wolfgang Hunold. An der Scharmützelseeschule hätten die Kinder mit Aggressionen anderer Schüler zu rechnen. »Als wir uns die Räume angeguckt haben, haben mir die Großen einen Kaugummi ins Gesicht gespuckt und gesagt, wir sollen wegbleiben«, erzählt Tochter Nicole.

Die Eltern schlagen nun vor, die neunte und zehnte Klasse von der Hohenstaufenstraße in die Fritz-Haber-Schule am Sachsendamm zu verlegen und so der Finow-Grundschule Platz zu machen. Karla Werkentin ist gegen diese Lösung. Monatelang habe sie gemacht und getan, immer wieder diskutiert, jetzt müsse die Schule endlich geräumt werden. »Die Schulleitungen sind durchaus in der Lage, die anstehenden Probleme zu lösen«, so Werkentin. Sie habe keine Lust mehr, sich als »hysterische ALerin« hinstellen zu lassen, weil die Eltern die Gefährdung ihrer eigenen Kinder nicht sähen. Bei der morgigen Bezirksverordnetenversammlung soll noch einmal über die Zukunft der Schule geredet werden. Möglicherweise wird dann noch für Ende der Woche die Räumung beschlossen — ob mit oder ohne Streik. jgo