Vermummt für die Freiheit der Hühner

■ In Damsdorf westlich von Berlin befreiten vergangene Woche radikale Tierschützer für einige Stunden 33.000 Legehennen einer ehemaligen LPG/ Nachdem die Hühner wieder in den engen Käfigen sind, ist die Hackordnung gestört

Damsdorf. Das »Autonome Kommando Animal Peace« (AKAP) kam am frühen Morgen. Da schliefen nicht nur die Bewohner von Damsdorf, sondern auch die Hennen im »Geflügelhof Kaiser«. Im Schutze der Dunkelheit brachen zehn Vermummte die Schlösser der beiden Lagerhallen auf und machten sich an die Arbeit. Noch bevor es hell wurde, war Käfig für Käfig geöffnet, Huhn für Huhn befreit. Um viertel vor sieben, als die ersten Angestellten des Betriebes die Hallen betraten, trauten sie ihren Augen nicht: Ein Großteil der 33.000 Hühner lief, flatterte, gurrte und gackerte in den Gängen, ein Haufen wagemutiger Hennen stolzierte an der frischen Luft herum.

Die ungewohnte Freiheit dauerte jedoch nur einen halben Tag. Am Abend saßen die meisten Hühner wieder in ihren Käfigen — dank der Mithilfe der Nachbarn und dreier Schulklassen aus dem Ort und der Umgebung. Über hundert Tiere waren allerdings wegen der Desorientierung an Herzattacken gestorben oder in den Kotkanälen ersoffen.

Die Aktion der Tierschützer am vergangenen Donnerstag war ein Novum in der Geschichte von Damsdorf, einem Dorf westlich von Potsdam. Für den »Geflügelhof Kaiser« könnte sie schon das baldige Ende einläuten. Denn seitdem ist das soziale Gefüge der Hühner empfindlich gestört. In jedem der 2.000 Quadratzentimeter großen Käfige hausen nämlich jeweils vier Hennen nach einer strengen Hackordnung. Die muß nun erst wieder neu ermittelt werden — und das erfordert Zeit und Streß. Sollten die Tiere schließlich noch in die sechswöchige »Mauserzeit« treten und ihr Gefieder wechseln, ist es mit dem Eierlegen vorbei. Notschlachtungen wären angesagt, wie der Geschäftsführer Hans-Günther Kaiser feststellt.

Zwischen ihm und den Tierschützern klaffen Welten. Es sind die bekannten Standpunkte, wie sie seit Jahren in der Auseinandersetzung aus dem Westen bekannt sind. Freimütig anerkennt Kaiser, daß »die kommunistische Massentierhaltung nur durch eine kapitalistische ersetzt wurde«. Die Hühnerfarmen seien geschaffen worden, »um den Menschen zu dienen und ein gesundes und billiges Nahrungsmittel zur Vefügung zu stellen«.

Solidarität erhielt das AKAP von der westdeutschen Organisation »Animal Peace«, die in der Tierzucht eine »brutale Ausbeutungspolitik unserer Geschöpfe« sehen. Obwohl die radikale Tierschutzorganisation nichts mit dem »Autonomen Kommando« zu tun haben will, verhehlt sie nicht ihre Sympathien für die Aktion. Die Querverbindungen und Abgrenzungen zwischen den beiden Gruppierungen erscheinen allerdings ein wenig undurchsichtig. So informierte »Animal Peace« die Öffentlichkeit über die »Befreiungsaktion« des AKAP und bot zugleich Fotos von dem Ereignis an, während das AKAP aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung lieber unerkannt bleiben wollte.

Zwar weiß der eingetragene Verein, der seit vier Jahren existiert und rund 10.000 Mitglieder zählt, daß Befreiungsaktionen von Hühnern nach geltendem Recht eine Straftat darstellen. Doch Gesetzesübertretungen seien notwendig, um wenigstens einigen Tieren einige wenige Stunden der Freiheit zu schenken, wie »Animal Peace«-Sprecherin Silke Ruthenberg erklärt. Kriminell seien diejenigen, die mit dem Leid der Tiere ihr Geld machten.

Hühnerhalter Kaiser wirft den Tierschützern vor, bei ihrer Aktion die Folgewirkungen für die Beschäftigten zu vergessen. Das sei wie früher, als der Gutsherr eher an seinen Jagdhund als an seinen Knecht gedacht habe. »Animal Peace«-Vorstandsmitglied Andreas Wolff hält nichts davon, ständig die Rechte der Tiere gegen die Arbeitslosigkeit auszuspielen. Es sei zwar eine Abwägung notwendig, aber gleichzeitig müsse man sich fragen, ob es »notwendig ist, Arbeitsplätze zu schaffen, indem man Tiere so führt«. Sollte der »Geflügelhof Kaiser« Konkurs machen, hält Wolff einen Ratschlag bereit: »Wir haben nichts dagegen, daß die Leute sich nachher bei uns melden, denn Arbeit haben wir genug.«

Die Gefahr eines Konkurses ist in der Tat gegeben. Bisher kam Kaisers Betrieb monatlich auf 750.000 Eier. Der Ausfall von fast zwei Millionen in den nächsten drei Monaten könnten die beiden GmbHs, aus denen die einstige LPG gebildet wurde, nicht verkraften. »Ein finanzielles Polster wie andere haben wir nicht«, erklärt Kaiser. Wie es weitergeht, weiß der 50jährige nicht. Dabei hat die frühere LPG — die lange Zeit in der DDR eine ZGE (Zwischengenossenschaftliche Einrichtung) war und daher kaum finanzielle Rücklagen anlegen konnte — versucht, auf dem Markt Fuß zu fassen.

Daß die Tierschützer gerade einen Ost-Betrieb ausgesucht haben, trifft ihn besonders hart: »Es ist klar, daß das ein Angriff gegen die gesamte Tierhaltung sein soll, aber gerade bei uns in Ostdeutschland, wo wir den Arsch gar nicht hochkriegen, fangen sie an.« Auf dem Markt sei die Konkurrenz für die ehemaligen LPGs gnadenlos. Eier gebe es heute, wie Kaiser meint, »mehr als genug«. Hartes Kalkulieren ist daher angesagt. So vermutet Kaiser denn auch, die Tierschützer könnten als Instrument fremder Interessen benutzt worden sein. Entweder von Konkurrenten oder von Entlassenen aus der früheren »LPG-GE Geflügelzucht«, die ihn angeschwärzt haben, um sich zu rächen: »Leute, die begeisterungsfähig sind, lassen sich doch häufig zu vielen Schlechtigkeiten hinreißen.«

Vielleicht sei es aber nur die günstige Lage gewesen, die seinen Betrieb zur Zielscheibe gemacht habe. Schließlich seien die Hallen einsehbar und nicht wie viele in Wäldern versteckt. Zudem befinden sie sich in der unmittelbaren Nähe der Autobahn Berlin-Magdeburg.

Den Vorwurf der Tierschützer, in seinem Betrieb seien tote und kranke Hühner gefunden worden, weist er von sich: »Leidende Hühner bringen doch keine Leistung.« Eine Umstellung auf »Bodenhaltung« stellt für ihn keine Alternative dar. Schon aus wirtschaftlichen Gründen. In Zeiten steigender Arbeitslosigkeit seien gerade im Osten billige Eier gefragt. Und die kämen eben nur aus der Farm: »Wenn man ein Publikum in den gutsituierten Teilen Berlins hat, dann kann man Eier aus der Bodenhaltung anbieten, nicht aber in den Arbeitersiedlungen Brandenburgs.« Severin Weiland