Jugoslawische Profs sind sich einig

■ Jugoslawien-Tagung in Berlin/ Gemeinsamer Forderungskatalog/ Informationsmonopol der jeweiligen Regierungen muß gebrochen werden/ Beobachterkommissionen ins Krisengebiet schicken

Berlin. »Thanatos« heißt Tod/Todestrieb, und im Fall Jugoslawien handele es sich um ein »kollektives Thanatos«. So charakterisierte der Zagreber Ökonom Branko Horvat die heutige Situation des Vielvölkerstaates. Angesichts der sich ausweitenden Kämpfe in Kroatien initiierte der Verein Süd-Ost-Europa-Kultur am vergangenen Wochenende die Tagung »Das Europäische Jugoslawien«, um »trotz der militärischen Eskalation friedliche Perspektiven im Dialog zu suchen«. Tatsächlich konnten Vertreter aus allen sechs jugoslawischen Republiken zu der Veranstaltung kommen.

»Wir hatten gehofft, daß in Berlin, sozusagen auf neutralem Boden, der Dialog zwischen den streitenden Parteien stattfinden kann«, sagte Bosilka Schedlich, Mitinitiatorin der Konferenz. In der Tat war die Atmosphäre entspannt, alle Teilnehmer bemühten sich, nicht in die übliche nationalistische Argumentationsweise zu verfallen.

Othmar Nikola Haberl, in Sarajevo geboren und heute Historiker an der Bundeswehr-Universität, forderte, daß Belgrad seine Friedfertigkeit durch die Aufgabe der serbischen Vorherrschaft in Kosovo beweisen müsse. Gleichzeitig solle der serbischen Minderheit in Kroatien Autonomie gewährt werden. Doch Haberl bezweifelte, daß dies geschehen werde. »Die Chance zu diesem Schritt ist so groß, wie sechs Richtige im Lotto.«

Zwischendurch stellten einige Teilnehmer allerdings auch Fragen nach dem Sinn einer solchen Tagung, zumal der Krieg in Kroatien zur selben Zeit weitergeführt werde. Es herrsche eine abstruse, imaginäre Atmosphäre, hieß es. Die Diskussion gehe am Thema vorbei, kritisierte Haberl.

Der Konflikt in Jugoslawien sei aber durchaus kein besonders negatives Beispiel, sondern vielmehr eine Art Auftakt. Aus Osteuropa seien noch eine Reihe von kriegerischen Auseinandersetzungen zu erwarten, so der Historiker.

Marijana Grandic, österreichische Parlamentsabgeordnete für die grün-alternative Fraktion teilte Haberls Skeptizismus. Als Burgenländerin habe sie sowohl eine kroatische als auch eine österreichische Identität. Sie meinte, daß ethnische Konflikte gelöst werden könnten, wenn nicht nur die Minderheiten sondern auch die Mehrheiten einer Republik die Sprache der jeweils anderen Nationalität lernen würden. Auswegslos erscheine die Situation nur solange, wie die Medien der Zensur unterständen und beide Seiten nicht vorurteilsfrei übereinander informiert werden könnten, betonten der Politologe Puhovski und der Wirtschaftler Horvat, beide Professoren in Zagreb.

Bis Sonntag abend arbeiteten die Teilnehmer der Konferenz einen Appell an die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) aus. Sie forderten, daß Druck auf die Führung Jugoslawiens ausgeübt werde, wenn die kriegerischen Auseinandersetzungen fortgeführt würden. Zur Zeit dürfe keine Republik völkerrechtlich anerkannt und die Grenzen nicht in Frage gestellt werden. Die Verfasser der Deklaration plädierten außerdem dafür, daß Beobachterkommissionen aus KSZE-Staaten nach Jugoslawien geschickt werden. sl