Oberstdorf zu Österreich?

Der Bürgermeister des weltbekannten Kurortes droht mit dem „Anschluß“ an Österreich, weil die bayerische Staatsregierung ihm Krankenbetten streichen will.

Oberstdorf (taz) — Das Schreiben vom 30. Juli 1991 trägt den offiziellen Briefkopf „Der Bürgermeister des Kurortes Oberstdorf“ und ist unterzeichnet mit Ed. Geyer, 1. Bürgermeister. So kürzt der Gemeindechef, der schon oft durch ungewöhnliche Aktionen Aufsehen erregt hat, seinen Vornamen ab. Gerichtet ist das Schreiben mit dem umfassenden Verteiler an den Landesrat Fredy Mayer, Vorarlberger Landesregierung, den zuständigen Ressortminister für das Gesundheitswesen.

Was Ed. Geyer da verfaßt hat, das hat den Gerichtsmediziner Dr. med. Mihail Kivi aus Oberhausen („in meiner Eigenschaft als Kurgast“) zu einem geharnischten Schreiben an den bayerischen Innenminister veranlaßt. Kivi schreibt: „Da ich aus Besorgtheit nicht ausschließen kann, daß es sich bei dem Verfasser um einen Wirrkopf (Verrückten!) handelt, bitte ich Ihr Ministerium dringend, diesbezügliche Maßnahmen einzuleiten.“

Was war passiert? Weil er sich von der Staatsregierung und vom Landkreis Oberallgäu in Sachen Gynäkologie am Oberstdorfer Krankenhaus im Stich gelassen fühlt, von Österreich jedoch Unterstützung im Kampf um die Abteilung erhalten hat, will Ed. Geyer notfalls sogar die Nationalität wechseln. Und zwar nicht nur seine, sondern die von ganz Oberstdorf: „Sollten die Bayern uns mit der Geburtshilfe fallenlassen, so würden wir den Anschluß an Österreich in Erwägung ziehen“, schreibt der Bürgermeister. „Wenn die Vorarlberger Landesregierung nicht ablehnt, so könnten Sie ja bereits die notwendigen diplomatischen Schritte einleiten“, bittet Geyer den Landesrat Mayer.

Dicker noch: den Landeshauptmann Purtscher (vergleichbar einem Ministerpräsidenten) habe er schon bei einer Feier um den „Einsatz der österreichischen Gendarmerie im Falle der Wegnahme der Geburtshilfe“ gebeten.

Als „humorvolle Geschichte mit einem ernsten Hintergrund“ bezeichnet Geyer inzwischen diesen Brief. Auf die Frage, wie ernst er das denn meint, läßt er den taz-Reporter im unklaren: „Ich gib' Ihnen keine klare Antwort. Ich leg' schon a bißerl Wert drauf, das alles ein wenig offen zu lassen, im unklaren zu lassen.“ Geyer hält seine Formulierungen vom „Anschluß“ nicht für besonders bedenklich. Man hätte das schon anders schreiben können, aber er habe nie gedient, er sei da in dieser Hinsicht nicht vorbelastet. „Man hat wahrscheinlich wenig Sinn für Humor bei uns in der Politik, das weiß ich“, meinte er.

Einige Gemeinderäte, wie beispielsweise Geyers Widersacher Besler (ebenfalls CSU), finden freilich, daß diese Formulierungen in offiziellen Schreiben deutlich über das hinausgehen, „was man als Humor bezeichnen könnte“. Bei anderen wiederum wird der ungewöhnliche Brief schlicht und einfach als Versuch des Bürgermeisters abgetan, mal wieder in die Schlagzeilen zu kommen. Er selbst gießt da noch Öl ins Feuer. „Vielleicht kommt ja wieder ein Riesenschreiben vom Ministerium, gegen was ich alles verstoßen haben soll. Und daß ich vielleicht demnächst als Abtrünniger abgeführt werden soll. Das wär' doch a pfundige Sache, gell. Ich sollte ja schon öfter abgeführt werden.“

Geyer, der als CSU-Mann niemals von seiner Partei, sondern von den Freien Wählern nominiert wurde, spielt damit auf einen Vorgang vor einigen Jahren an. Damals hatte er einem Bürger einen Sheriff- Stern verliehen, weil der immer ganz eifrig ehrenamtlich Baustellen kontrollierte.

Im bayerischen Innenministerium hält man sich mit Aussagen zu den jüngsten Kapriolen des Oberstdorfer Rathauschefs noch bedeckt. Es müßten erst die beiden zuständigen Fachabteilungen „Gesundheitswesen“ und „Kommunale Angelegenheiten“ gehört werden, bevor man offiziell eine Stellungnahme abgibt. Der Vorarlberger Landesrat Fredy Mayer sagte, er habe das Schreiben unter der Rubrik „Aufmerksamkeitsfaktor 7“, sprich als Publicity-Gag, betrachtet. „Ich kenne den Bürgermeister überhaupt nicht“, meinte der Minister. Klaus Wittman