Schnell fahren, schnell arbeiten, schnell trinken

Terrain „archaischer Rangkämpfe“ — eine Psycho-Studie des TÜV zum Geschwindigkeitsrausch auf den Straßen offenbart, daß Appelle an die Vernunft allein nicht greifen können/ Die Autoren fordern ein „fixiertes Tempolimit auf Autobahnen“  ■ Von Gerd Rosenkranz

Das letzte Wort der Studie klingt nach Resignation oder revolutionärer Gesinnung der Verkehrssicherheitsforscher vom TÜV Rheinland. „Das Geschehen auf der Straße ist zum großen Teil ein Spiegel gesellschaftlicher Phänomene und Entwicklungen“, heißt es da. Und weiter: „Solche sind nur zu lösen, wenn man ihre Ursachen kennt und beseitigt.“ Zu derlei großen Worten sahen sich Stefan Becker und Klaus-Wolfgang Herberg vom TÜV-Institut für Verkehrssicherheit in Köln veranlaßt, nachdem sie insgesamt 60 AutofahrerInnen intensiv befragt hatten, die sich selbst als Schnell-, Durchschnitts- oder Langsamfahrer einstuften.

Tempolimit ist undemokratisch

Die Studie mit dem Titel „Untersuchung von Motiven für die Geschwindigkeitswahl unter besonderer Berücksichtigung des Konkurrenzaspektes“ erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität, weil sich, wie die Autoren vermuten, vorrangig solche Automobilisten befragen ließen, die emotional von dem Thema besonders gefesselt sind. Das blieb nicht ohne Rückwirkung auf ihre Meinungsfreude. Den TÜV- Forschern ist besonders zu danken, daß sie die Probanden in ihrer Studie ausführlich selbst zu Wort kommen lassen.

Was also bedeutet Geschwindigkeit für einen Schnellfahrer? „Man ist in einer anderen Dimension, unverletzbar und unsterblich. Es scheint, daß das Auto alles selber macht.“ Oder: „Es ist wie LSD, es regt zu größenwahnartigen Phantasien an.“ Und ein Durchschnittsfahrer: „Es ist wie an einer Steilküste, das Bedürfnis, näher an den Abgrund zu gehen.“ Wenig überraschend, daß die Bleifußfraktion jede Geschwindigkeitsbegrenzung als eine „nicht zwingend notwendige Bevormundung“ einstuft, die der „eigenen Demokratieauffassung“ widerspricht.

Ebensowenig verwundert, daß der Konflikt zwischen Rasern und Trödlern besonders auf den Autobahnen eskaliert, wo die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen beiden Gruppen im Mittel immerhin 65 Stundenkilometer ausmacht. Eine Durchschnittsfahrerin packt da schon mal der „totale Haß, wenn so ein Raser von hinten kommt“. Eine Langsamfahrerin erkennt im „Rennen der Idioten auf der Überholspur“ einen Anschlag auf ihr Leben. Am liebsten würde sie „denen die Fresse einschlagen, daß kein Zahnarzt der Welt dieses Gebiß wieder sanieren kann“. Ähnlich herzlich äußern sich umgekehrt die Raser über die Gegenfraktion. Diese Langsamfahrer gehörten „wirklich von der Straße“. Denn: „Wer im Leben keine Steuern zahlt, sollte von der Überholspur verbannt werden, weil er die behindert, die ihn am Leben erhalten.“ Selbstverständlich wollen sich die Raser nicht von den Gemächlichen ihren Fahrstil aufzwingen lassen: „Es wäre genau das gleiche, als wenn die Rentner sagen würden: bei uns klappt es im Bett nicht mehr, dann darf die Jugend es auch nicht mehr machen.“

Überhaupt erlebt der Schnellfahrer den Straßenverkehr als „Kampfplatz der Erfolglosen, Arbeitslosen, Assozialen, Studenten und Kriminellen“. Er selbst hingegen gehört in seiner Selbsteinschätzung fraglos zum erfolgreichen Segment der Gesellschaft. Denn: „Ich fahre schnell. Ich bin auf der Arbeit schnell. Und auch beim Trinken — bis an die Grenzen.“

Die „Siegertypen“ fahren links, konstatiert der TÜV. Wer rechts entlangtuckert, wer sich als Langsamfahrer einstuft, gehört in drei von vier Fällen zu den Ängstlichen im Lande. Der „Grundtendenz zum Konkurrenzkampf“, bei dem häufig auch sexuelle Motive eine Rolle spielen, tut die unterschiedliche Ausgangssituation indes keinen Abbruch. Nur wenige der Ruhigen im Lande schaffen den Durchbruch zum „kultivierten Langsamfahren“, wie jener Automobilist, der dann demonstrativ „den Fuß auf die Ablage legt“ und ganz „easy“ dahingleitet.

Nur wenige fahren kultiviert langsam

Für die TÜV-Autoren steht nach den Befragungen zweifelsfrei fest, „daß es kein isoliertes Verkehrsverhalten gibt, sondern dieses von allgemeinen Lebenseinstellungen und Lebensprinzipien bestimmt wird“. Da die nicht so einfach zugänglich oder zu ändern seien, bleibe als Ausweg nur eine „Beschneidung des Verhaltensspielraums, zum Beispiel im Sinne eines fixierten Tempolimits auf Autobahnen“. Flankierend, schlagen die Verkehrswissenschaftler vor, müsse agressives Fahren — wie beispielsweise das Rauchen — ganz allgemein „gesellschaftlich geächtet“ werden. Ohne Tempolimit werde insbesondere die Autobahn weiter als „rechtsfreier Raum“ erlebt — mit den bekannten blutigen Folgen. Schließlich habe seinerzeit auch die heftige Diskussion über Sinn und Unsinn des Sicherheitsgurtes gezeigt, daß eine „gravierende kollektive Verhaltensänderung nur über entsprechende gesetzliche Sanktionierung zu erreichen“ sei.

Die Studie und insbesondere die zahllosen Zitate der Befragten müßten im Haus des Bonner Verkehrsministers Günther Krause (CDU) eigentlich sämtliche Alarmglocken schrillen lassen. Der Minister sieht für ein Tempolimit bekanntermaßen „überhaupt keinen Handlungsbedarf“. Stattdessen vertraut er auf die beschwörende Kraft des erhobenen Zeigefingers. Für 36 Millionen Mark läuft derzeit die Erziehungskampagne: „Rücksicht kommt an.“ Nicht erst seit der Untersuchung des TÜV müssen Zweifel erlaubt sein.