In Sack und Asche

Heiner Müller inszeniert Heiner Müller  ■ Von Sabine Seifert

Es ist zu einfach. Alle prügeln auf ihm herum. Seit einer gewissen Zeit ist das opportun. Ein freundlicher alter Mann, die früher hagere Gestalt etwas fülliger geworden, der Rosen an die Darstellerinnen verteilt. Sein Anliegen muß wichtig sein, daß er seine eigenen Texte inszeniert. So wichtig, daß er sie in ein Mauserleum stellt. Als Theaterabend für Bildungsbürger, mit allem, was dazugehört: vergeblichem Nachdenken. Einfach zu blöde, daß es so gekommen ist. Französische, russische, keine deutsche Revolution: Heiner Müller hatte angekündigt, sein abstrakt-monologisches Lehrstück über die russische Revolution, Mauser, das in der DDR nie aufgeführt werden durfte, der messerscharfen Dialogkunst aus dem Salonstück der französischen Revolution, Quartett, gegenüberzustellen. Das Anschauungsmaterial — aus der Geschichte lernen? — hat dem Autor/Regisseur nicht gereicht. Als gelte es, das eigene Werk theaterhistorisch aufzubereiten, hat Müller den Zwei-Müller-Abend um zwei weitere Teil-Müller ergänzt. Herakles 2 oder die Hydra stammt aus Zement und wird Mauser vorangestellt. Auf Quartett folgt Der Findling, eine Szene aus der Wolokolamsker Chaussee. DDR-Wirklichkeit der Revolutionsgeschichte voraus- und nachgeschickt. Vor und nach Quartett gibt es eine Pause, ein Abend in drei Teilen.

Von weitem erinnert das Bühnenbild von Jannis Kounellis an ein Stahlwerk. In der Mitte ein Schornstein oder Riesenphallus, in den einmal ein nackter Mann einen Hut an einer Angel eintaucht und blutbefleckt wieder herauszieht. Die Bühne Wände abgegrenzt, über ihnen ragt eine riesige Guillotine als Kunstobjekt in die Höhe. Betätigt wird sie nicht, es fließt kein Blut in dieser Inszenierung, der Tod wird nur abstrakt oder in abgegriffenen Metaphern verhandelt. Schubkarren mit Säcken, Loren stehen in der Ecke und viele alte Schränke, dicht an dicht. Frauen und Männer, in alten Kleidern und alten Mänteln, kriechen in die Schränke, als suchten sie Schutz in Häusern, ein stummer Chor, der hin und wieder Worte aus dem eingesprochenen Text aufgreift und doppelt; einige prozessieren langsam und stumm mit einer Ladung Leninköpfen an der Bühnenrampe vorbei, aus denen sich vortrefflich Suppe löffeln läßt. Abgehackt wird die Sprache durch den Lautsprecher gejagt, jedes Wort ein Volltreffer, bombastisch, übergewichtig, gnadenlos. Totes Theater, entleerte Theatermittel.

Zwei alte Männer (ein Ernst- Busch-Lied hat den Mauser-Teil eingeführt) sitzen sich jeweils links und rechts außen auf der Bühne an einem Schreibtisch gegenüber. Auch sie tragen Mäntel, verlesen den Text, den sie verlesen zusammenknüllen und auf den Boden werfen. Schreibtischtäter in sozialistischem Amtsstubenmuff. Verordnetes Töten, verselbständigtes Töten, Tötungsmaschinerie: die ganze negative Dialektik der Revolutionsideologie wird in Mauser, geschrieben 1970, verhandelt („...wissend, das Gras noch/ Müssen wir ausreißen, damit es grün bleibt...“). Wer aber ins Gras beißt, das wird nicht gezeigt, das Lehrstück nicht mit konkretem Horror gefüllt. Doch dürfen die Frauen mit kummervoller Miene die Mäntel ihrer (toten) Männer auf Bügel an Fleischerhaken hängen. Und am Ende rieselt der Sand aus einem großen Männerstiefel, der wie eine Trophäe auf einem der Schreibtische stand.

Schlachtenlärm. Eine Frau mit blutbeflecktem weißen Kleid verteilt Rosen, vielleicht auf Gräber. Ein Mann mit einem Sack über dem Rücken stopft Schuhe in blutgetränkte Kohleneimer. Die Marquise (Dagmar Manzel) schnippelt sich mit einer Schere aus ihrer weißen Bluse eine Augenbinde. Aus ihrem Mund quillt Blut. Ihr Spiel mit dem Vicomte de Valmont ist ein Vorspiel zu ihrem Tod, der mit der Revolution kommen wird.

Quartett (entstanden 1980) ist sozusagen das Herzstück des Abends. Ein Angebot, Klamotte. Ein Stück, das einmal ohne Lautsprechertechnik auskommt, das zum Spielen und Ausspielen herausfordert. Aber wie, wenn schon denn schon, chargiert. Jörg Gudzuhn als Valmont sieht aus wie ein gealterter smarter Edelpunk, der, als er in die Rolle der ehrenwerten Madame de Tourvel schlüpft, zum Weib in Unterhosen wird: alberne Tuntelei. Dagmar Manzel wechselt manchmal abrupt und unmotiviert zwischen zart heller und dunkel kräftiger Stimme, wenn es darum geht, die zwei Wesensseiten der Marquise anzudeuten. Immmerhin der Versuch einer Nuancierung im sonst grell und schattierungslos ausgespielten Stück, das seine schönen bissigen Worte dieses Mal nicht auf des Messers Schneide, sondern wie auf einem breiten Tortenheber plaziert.

Nochmal etwas Schwung erhält der Abend im dritten und letzten Teil. Hier stimmt die Choreografie der stummen Bewegungsabläufe wenigstens, ist zügiger und komischer (auch wenn man es eigentlich nicht mehr hören und sehen mag); ein Bürokrat im grauen Anzug und mit Hut sitzt am Schreibtisch und stößt wie eine Maschine das Wort B-a-u-tz-e-n aus sich heraus, dabei umklammert er krampfhaft ein Telefon mit Abhörgerätschaft. Ein anderer Mann läßt immer wieder dieselben Personen, ein Paar sowie einen Mann im Rollstuhl und eine Frau, niederknien und schlägt sie dann mit dem Gewicht eines Stapels von Büchern nieder, doch immer wieder rappeln sie sich hoch, und der Kampf mit den Büchern der Väter beginnt aufs Neue.

Der Findling, die fünfte Szene aus der Wolokolamsker Chaussee, behandelt den Generationenkonflikt der DDR. 1968, Einmarsch in die Tschechoslowakei, Sohn revoltiert gegen den loyalen Vater. Ein Freund wird verhaftet, verbrennt sich. Der Vater ist unter den Nazis inhaftiert gewesen; es hält ihn nicht davon ab, seinen Sohn ins Gefängnis zu bringen und zu denunzieren.

Die Geschichte geht schlecht aus, und darum ertönt am Ende — wieder über Lautsprecher — des Dichters Stimme (mit Brechts Worten): „Laßt alle Hoffnung fahren ... Was hier gebraucht wird, ist Hackfleisch. Das soll euch nicht entmutigen.“ Die Straße von Ost nach West ist frei geworden, aber sie verspricht auch nichts mehr.

Heiner Müller: Mauser . Regie: Heiner Müller. Bühne: Jannis Kounellis. Mit Dagmar Manzel, Jörg Gudzuhn, Dörte Lyssewski, Klaus Piontek, Joerg-Michael Koerbl u.a. Deutsches Theater Berlin. Nächste Aufführungen: 19. und 27.9.

Im Übrigen ist heute abend (17.9.) die sehr sehenswerte Müller-Inszenierung seines Lohndrückers zum letzten Male zu sehen.