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Der Sowjetblock steht

■ Finale der Volleyball-Europameisterschaft: UdSSR — Italien 3:0/ 4.000 Rubel besiegen 400.000 Dollar

Berlin (taz) — Sie hatten sich alle verschätzt. Der bundesdeutsche Mannschaftskapitän René Hecht tippte daneben: „Die Italiener werden Europameister, weil sie fehlerloser spielen.“ Das Aktuelle Sportstudio des ZDF irrte: „Deutschland verlor im Halbfinale gegen Italien wohl gegen den späteren Europameister.“ Und die italienischen Volleyball- Fans verliefen sich: „1.500 chilometri di passione“, schrieben sie auf ihr Transparent. „Anderthalbtausend Kilometer der Leidenschaft“ wurden für die Tifosi zum Irrweg.

Nicht die Spieler der teuersten Volleyball-Liga der Welt baggerten den Europameistertitel aus. Kapitän Andrea Lucchetta und seine Kameraden verdienen bei den Nobelvereinen in Modena, Ravenna oder Mailand bis zu 400.000 Dollar pro Saison. Aber die Bolejtschiki aus der sowjetischen Nationalliga eroberten den Titel. Sie schmettern und pritschen sonst in den Spitzenclubs ZSKA Moskau und Radiotechnika Leningrad und gehen mit 4.000 Rubel in einem Jahr nach Hause.

Nicht der Venezianer Andrea „Zorro“ Zorzi wurde zum Star des EM-Endspiels. Trotz ausländischer Stars wie die US-amerikanischen Olympiasieger Kiraly und Timmons gilt der 26jährige Spieler von Mediolanum Mailand als spektakulärster Angreifer der italienischen Staatsliga. In Berlin wurde er ausgewechselt und von den sowjetischen Sprung- und Schmetter-Wundern Dimitar Fomin und Andrej Runow in Spielwitz und Kondition übertroffen.

Nicht der Argentinier Julio Velasco festigte nach Erfolgen bei den letzten Welt- und Europameisterschaften seinen Ruf als Meistermacher, sondern Wjatscheslaw Platonow. Er führte die UdSSR zu zehn europäischen Meistertiteln in Folge. Dann gab er sein nationales Traineramt ab, die Sowjetunion wurde 1989 prompt katastrophaler Vierter. Platonow übernahm wieder das Ruder und steuerte unverzüglich auf Erfolgskurs. Zur Belohnung warfen ihn die neuen Europameister freudig durch die Halle in Berlin.

Nicht Hunderte italienischer Fans konnten am Ende der 17. Männer- Europameisterschaft die ersehnten Freudentänze aufführen. Sie bedachten ihre Lieblinge am Ende gar verärgert mit vereinzelten Pfiffen. Die restlichen 6.000 Zuschauer allerdings nahmen den sowjetischen Erfolg mit Wohlwollen zur Kenntnis, hatte sich die UdSSR-Auswahl doch Schlag für Schlag die Sympathien des Berliner Publikums erobert.

Das Fazit nach dem 12. Europameistertitel der sowjetischen Volleyballer kann daher nur lauten: Der Ostblock ist zerfallen, aber der sowjetische Block steht. Denn genau in diesem Mannschaftsteil hatte die Sbornaja erhebliche Vorteile. Hagen Boßdorf

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