Ein Prärie-Populist verspricht Bush „die Hölle“

In den Vereinigten Staaten hat die Vorwahlkampagne zu den Präsidentschaftswahlen im November 1992 begonnen/ Der linksliberale Senator Tom Harkin verkündet in seinem Heimatstaat Iowa seine Kandidatur als demokratischer Präsidentschaftsbewerber  ■ Aus Iowa Rolf Paasch

Die Bühne steht. Im Hintergrund der braun-rote Heuschober mit dem riesigen Sternenbanner, genau im richtigen Winkel zu den Kameras. Davor hin- und hermarschierende Polit- Komparsen, die einen nicht enden wollenden Anmarsch der Wählermassen suggerieren sollen. Unten vor dem Podium schwenken die Parteiaktivisten ihre blau-weißen Tafeln mit dem Namen des Hauptdarstellers. Und jetzt erheben sich auch die restlichen zweitausend Gäste der wahlpolitischen Grillparty auf der Anhöhe neben dem Bauernhof von den Strohballen, um ja nicht den Einzug ihres Lokalhelden zu verpassen.

Die Herausforderer des Präsidenten

„Are you ready?“ brüllt dieser, mit einem forschen Satz auf die Bühne springend. Natürlich sind sie es. „Seid ihr bereit für einen Präsidenten, der aus Star Wars Star-Schulen macht?“ Selbstverständlich, darauf haben sie im pazifistischen Iowa jahrelang vergeblich gewartet. „Na dann“, ruft er, über das lautstarke Echo befriedigt. „Ich bin Tom Harkin. Und ich bewerb' mich ums Präsidentenamt!“ Skriptgetreu tobt die Menge.

Mit halbjähriger Verspätung hat in den Vereinigten Staaten an diesem Wochenende endlich der Präsidentschaftswahlkampf begonnen. Am Freitag hatte Virginias Gouverneur Douglas Wilder das Rennen um die demokratische Kandidatur aufgenommen; der Enkel eines schwarzen Sklaven buhlt nun als konservativer Demokrat um die Stimmen des Parteivolks. Und dann gibt es da noch Paul Tsongas, der als Exsenator von Massachusetts — dazu auch noch griechischer Herkunft — allzusehr an den George Bush 1988 unterlegenen Michael Dukakis erinnert, als daß ihn noch jemand ernst nehmen würde.

Da ist Tom Harkin, der „homeboy“ aus der benachbarten 151-Seelen-Gemeinde Cumming, schon aus ganz anderem Holz geschnitzt. Der Vater Bergarbeiter, die Mutter eine Einwanderin aus Slowenien, hat sich der heute 51jährige Senator für den Farmstaat Iowa ganz allein nach oben kämpfen müssen. Ein Stipendium verhalf dem Bauarbeiter Harkin aufs College. Mit seinem fünfjährigen Vaterlandsdienst als Navy- Pilot im Vietnamkrieg erwarb er sich das Recht auf ein Jurastudium — und die Erfahrungen, die bis heute seine außenpolitische Kritik an George Bush bestimmten. Als einer der wenigen Senatoren argumentierte er im letzten Winter gegen den militärischen Einsatz der US-Truppen am Golf.

Doch dies tut seiner Popularität hier in Iowa keinen Abbruch. „Die Leute kapieren langsam, daß der Sieg im Golfkrieg nur neue Probleme geschaffen hat“, so Frank York, der heute hundert Dollar für Harkins Wahlkampagne gespendet hat. Kaum irgendwo sind George Bushs außenpolitische Abenteuer so unpopulär wie hier im traditionell isolationistischen Mittelwesten, wo sich die meist deutschstämmige Bevölkerung schon anno 1914 gegen den Kriegseintritt Amerikas aussprach.

Aus den ersten Wählerversammlungen der demokratischen Präsidentschaftskampagne in seinem Heimatstaat wird Harkin im Februar als eindeutiger Sieger hervorgehen müssen, will er überhaupt eine Chance haben, im kommenden Sommer vom demokratischen Parteikonvent als Herausforderer George Bushs bestimmt zu werden. In einem Wahlkampf, in dem sich viele namhafte Demokraten gar nicht erst trauen, gegen den scheinbar unbesiegbaren George Bush anzutreten, stehen die Chancen des vergleichsweise linken Harkin dazu gar nicht mal so schlecht.

Im Gegensatz zu seinem voraussichtlichen Mitbewerber Bill Clinton aus Arkansas, der die demokratische Nominierung als Vertreter einer kaum noch erkenntlichen politischen Mitte anstreben wird, scheut Harkin nicht vor inhaltlichen und rhetorischen Frontalangriffen auf den so populären Präsidenten zurück. Mit seinem aggressiven Stil und seiner populistischen Rhetorik, so ein republikanischer Wahlkampfberater, sei Harkin „ein Widersacher aus George Bushs Alpträumen“.

„George Herbert Walker Bush“, so Harkin genüßlich immer wieder auf die patrizische Herkunft des Präsidenten anspielend, „steht auf tönernen Füßen, die ich mit dem Hammer bearbeiten werde“. Harkin feuert seine Tiraden ab wie der im Nachbarort geborene John Wayne seine Kugeln. Das Parteivolk zwischen den Mais- und Sojabohnenfeldern ist begeistert. Und selbst die aus Washington eingeflogenen Fernsehreporter markieren pflichtgemäß Harkins attraktivsten „Soundbites“ für die Abendnachrichten.

Ein durch und durch „weißer“ Kandidat

Ob Tom Harkins effektvoller Prärie- Populismus jedoch auch in den übrigen Bundesstaaten als Vision für ein neues Amerika ausreichen wird, bleibt abzuwarten. Die Kleinbauern, von den sinkenden Weltmarktpreisen für ihre Produkte in den Bankrott getrieben, und die von dem Reallohnverlust in den achtziger Jahren betroffenen Gewerkschafter sind selbstverständlich auf seiner Seite. Doch wenn Jesse Jacksons Versuch, jene demokratische Wunschkoalition aus Gewerkschaftsbewegung, Mittelklasse-Familien, ethnischen Minderheiten und der Unterklasse für seine Kandidatur zu vereinen, bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen an seiner ungenügenden Unterstützung durch weiße Wähler scheiterte, hat Harkin das umgekehrte Problem. Ihm könnten am Ende die Stimmen der nichtweißen Wähler in den Innenstädten fehlen.

Den zur offiziellen Bekanntgabe seiner Kandidatur aus allen Teilen Iowas herbeigeeilten Parteigängern war Harkins Antrittsrede ganz nach ihrem Geschmack. Bei holzkohlengegrillten Steaks auf ihren Plastiktellern ließen sie sich willig von seinem Traum vom intakten Kleinstadt- Amerika einlullen: in dem die Menschen noch Werte produzierten statt nur noch mit fiktivem Geld zu spekulieren; in dem die Kids ihren Schulweg noch ohne Gefahr an Leib und Leben zurückgelegen konnten.

Bildung statt Bomben, Protektionismus statt Freihandel, so Harkins alte Vision vom neuen Amerika, gespickt mit Zitaten von Roosevelt, Truman und Kennedy. Selbst das auf den T-Shirts seiner Wahlkampfhelfer aufgedruckte „Give'em Hell“ („Mach ihnen die Hölle heiß“) war der Slogan, mit dem Präsident Truman dem damals republikanischen Kongreß drohte und sich 1948 seine überraschende Wiederwahl sicherte. Als der bisher wohl aussichtsreichste Bewerber seiner Partei um das Amt des Präsidentschaftskandidaten für 1992 scheint Tom Harkin zurück in eine demokratische Zukunft zu wollen.