Staatsrat berät über Republiken-Abkommen

■ Auch Lebensmittelversorgung im Winter und Herausgabe einer jüdischen Sammlung auf der Tagesordnung

Moskau (ap) — Der sowjetische Staatsrat ist am Montag in Moskau zu Beratungen über das von zehn der ehemals 15 sowjetischen Republiken geschlossene Wirtschaftsabkommen zusammengekommen. Wie die unabhängige sowjetische Nachrichtenagentur 'Interfax‘ berichtete, ging es bei der Sitzung auch um Fragen der Lebensmittelversorgung der UdSSR während des bevorstehenden Winters.

Die Sitzung, der Präsident Michail Gorbatschow präsidierte, wurde mit einem Bericht des stellvertretenden Vorsitzenden des operativen Wirtschaftsführungskomitees, Juri Luschkow, eröffnet, das für die Organisierung der Lebensmittelproduktion zuständig ist.

Dem Staatsrat gehören neben Gorbatschow die Präsidenten aller Republiken an, die dem Abkommen beigetreten sind. Das sind alle Republiken der alten Sowjetunion außer den drei baltischen Staaten, der Moldaurepublik und Georgien, die auch einem neuen Unionsvertrag nicht mehr beitreten wollen.

An der Sitzung nahmen den Angaben zufolge die Präsidenten von Rußland und der Ukraine, Boris Jelzin und Leonid Krawtschuk, sowie die Republikchefs von Aserbaidschan, Armenien, Kirgisien, Tadschikistan und Turkmenien teil. Der Präsident von Kasachstan, Nursultan Nasarbajew, der am Morgen mit US-Außenminister James Baker in Alma Ata zusammengetroffen war, sollte am Nachmittag noch zu der Sitzung im Kreml kommen. Weißrußland und Usbekistan wurden bei dem Treffen von Delegierten ihrer Parlamentspräsidenten vertreten. Georgien und Moldawien nahmen an der Sitzung nicht teil. Die georgische Regierung erklärte dazu, sie werde eine Wirtschaftsübereinkunft nicht unterschreiben, weil der Staatsrat auf seiner ersten Sitzung vor zehn Tagen nicht die Unabhängigkeit der Republik anerkannt hatte.

Wie 'Interfax‘ weiter meldete, wollen die Mitglieder des Staatsrates, der als eine Art Interimsregierung der UdSSR fungiert, den Entwurf eines Vertrages über eine Wirtschaftsunion und ein Abkommen über die sowjetischen Grenztruppen behandeln. Weiter wurde erwartet, daß auch der Südossietien-Konflikt, die Einrichtung eines Ausschusses für Angelegenheiten der Sowjetdeutschen beim Präsidenten der UdSSR und andere Fragen erörtert werden. Der armenische Präsident Lewon Ter-Petrosjan werde auch den Konflikt seines Landes mit Aserbaidschan zur Sprache bringen, hieß es.

Der Wirtschaftsvertragsentwurf sieht unter anderem die Bildung eines Bankensystems mit der Einrichtung einer Zentralbank und die Beibehaltung des Rubels als gemeinsamer Währung vor. Ferner sollen Schritte unternommen werden, um den Rubel zum schnellstmöglichen Zeitpunkt konvertibel zu machen.

Nach Angaben von 'Tass‘ wird der Staatsrat auch über das Schicksal einer bedeutenden jüdischen Buch- und Dokumentensammlung entscheiden, deren Herausgabe seit Tagen von in die USA ausgewanderten sowjetischen Juden verlangt wird. Kulturminister Nikolai Gubenko hatte in der vergangenen Woche dieses Verlangen zurückgewiesen und gesagt, über die Frage der jüdischen Sammlung könne nur der sowjetische Staatsrat entscheiden.

Der kirgisische Präsident Askar Akajew sagte, die Sitzung des Staatsrates sei von „herausragender Bedeutung“. Die Unterzeichnung eines Wirtschaftsvertrages sei wichtig als Grundlage für politische Entscheidungen über eine künftige Union, wurde der kirgisische Politiker von der Nachrichtenagentur 'Tass‘ zitiert. Der vorliegende Vertragsentwurf des Wirtschaftswissenschaftlers Grigori Jawlinski sei allerdings unannehmbar, da er zu kompliziert sei. Akajew sprach sich statt dessen für den Alternativentwurf Stanislaw Schatalins aus, der „klar formuliert“ und genau der gegenwärtigen Situation angemessen sei.

Unterdessen traf Basarbajew gestern mit dem amerikanischen Außenminister James Baker zusammen. Der kasachische Präsident erklärte anschließend, er habe Baker mitgeteilt, daß die Kontrolle der auf dem Boden seiner Republik stationierten Atomwaffen gesichert sei. Die Kontrolle der Atomwaffen müsse durch eine Zusammenarbeit des Zentrums mit den Republiken erreicht werden.