Jugoslawien: Stürzt die Bundesarmee Tudjman?

Die Bundesarmee greift seit dem Wochenende auch Gebiete Kroatiens an, in denen keine serbische Minderheit lebt/ Ziel der Operation „Schutzschild II“ ist die Kapitulation der kroatischen Regierung/ EG-Streit über Einschätzung des Bürgerkrieges  ■ Von Roland Hofwiler

Der Krieg in Kroatien weitete sich gestern immer mehr auf Gebiete aus, in denen keine serbische Bevölkerung lebt und die auch ultraextremistische Freischärler für ein zukünftiges Großserbien nicht beanspruchen. Nach dem kroatischen Rundfunk soll die jugoslawische Luftwaffe zwei Bomben auf die kroatisch-ungarische Grenzstadt Virovitica abgeworfen und im Tiefflug die Bewohner von Varazdin in Angst und Schrecken versetzt haben. Beide Städte liegen weit abseits der bisherigen Kriegsschauplätze, Varazdin gar unweit der slowenischen Grenze. Beiderorts hat man noch nie serbische Freischärler gesehen Dort leben Ungarn und Kroaten, jedoch keine serbische Minderheit.

Auch die anhaltenden Kämpfe entlang der Adriaküste, vor allem um Zadar und Split, sind nicht von besonderem Interesse für serbische Cetniks. Denn bei diesen Kämpfen zwischen der Bundesarmee und der kroatischen Nationalgarde geht es nicht um die Befreiung der serbischen Minderheit in Kroatien, da es an der Küste keine nennenswerte serbische Bevölkerung gibt. Vor allem die Einnahme der Brücke von Maslinaca, nördlich vom fjordähnlichen Meeresarm bei Zadar kommt lediglich eine militärische Bedeutung zu. Dadurch wird die kroatische Küste in einen südlichen und einen nördlichen Teil getrennt, was nur als Ausgangspunkt für weitere Landeroberungen einen Sinn ergibt.

Ähnlich verhält es sich bei der neuen Front zwischen Varazdin und Virovitica. Damit wird die Hauptstadt Zagreb von der bisher offenen slowenischen und ungarischen Grenze abgeschlossen, über die das „faschistische Regime in Zagreb Waffen und Kriegsgerät erhalte“. So weiß es die Armeezeitung 'Narodna Novine‘ zu berichten. Ein Propagandablatt der Generäle, das inhaltlich einen neuen Schwerpunkt setzt: Beklagten sich in älteren Ausgaben die Autoren über die „unzumutbare Unterdrückung“ der serbischen Minderheit in Kroatien, so ist dies längst kein Thema mehr. Nun ist immer offener von einem faschistischen Regime unter dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman die Rede. Liest man zwischen den Zeilen, so bemerkt man, der Armee geht es nun vor allem darum, dieses Regime in die Knie zu zwingen. Und auf diese Strategie scheinen sich die Generäle festzulegen: Zermürbungs- und Einschüchterungskrieg gegen die kroatsiche Regierung, bis diese von allein kapituliert. Glaubt man der in Sarajewo erscheinenden 'Nedjelja‘ und dem 'Zagreber Globus‘, so läuft diese Operation unter dem Namen „Schutzschild II“, der es den serbischen Freischärlern überdies erlauben soll, auf lokaler Ebene „Bodengewinne urserbischen Landes“ mit Waffengewalt durchzusetzen.

Auf diese Operationspläne soll die kroatische Regierung ihrerseits reagiert haben. Nach einem internen Verteidigungsplan gelten mittlerweile nicht mehr die serbischen Cetniks als Hauptfeinde, sondern die Bundesarmee. Um diese zurückzuschlagen ordnete Tudjman die BLockaden vor den Kasernen an, beschießt die kroatische Nationalgarde immer offener Panzer und Flugzeuge der Armee, versucht sie so viele Armeeangehörige wie möglich als Gefangene zu nehmen. Zudem verbreiten die elektronischen Medien stündlich Aufrufe, in Massen aus der jugoslawischen „Okkupationsarmee“ zu desertieren.

Die kroatische Zeitungen bedauern unterdessen, daß die EG diese Verteidigungstaktik Zagrebs mißbilligt. Alle Blätter zitieren den niederländischen Außenminister van den Broek, der am Wochenede scharfe Kritik äußerte und behauptete mit den Blockadeaktionen der Kroaten würden die Friedensgespräche in Den Haag gefährdet. Scharf reagierte hierauf Kroatiens Verteidigungsminister Luka Bebic: „Herr van den Broek hat sich offenbar in dem balkanischen Labyrinth verloren und weiß nicht mehr zwischen Angreifer und Opfer zu unterscheiden. Aber auch in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft selbst wurde über die Bedeutung der Worte des niederländischen Außenministers spekuliert. Dabei stellten „diplomatische Kreise in Bonn“ überraschend fest, daß die Kritik an Kroatien nicht in einem Widerspruch zur Haltung der EG stünde. Van den Broek habe in einem Fernsehinterview am Montag erklärt, daß er keine einseitigen Schuldzuweisungen vornehme. Kroatien sei angegriffen worden und müsse sich daher wehren. Demgegenüber ließen „inoffizielle Bonner Kreise“ verlauten, daß es an der EG-Linie keine Veränderungen gegeben habe, die Niederlande diese jedoch „verlassen“ hätten. Unverständnis wurde auch über die Kritik an der deutschen Position geäußert. Bonn habe sich immer bemüht, gemeinsame EG-Positionen durch die KSZE-Staaten stützen zu lassen. Die französische Regierung forderte die EG auf, „mit ein und derselben Stimme“ zu sprechen.