Nachts im Stasi-Bunker

■ Ein Münchner Diskobesitzer läßt im ehemaligen MfS-Gebäude die freie, schöne, deutsche Jugend tanzen

Leipzig, im September. Nachts. Unübersehbare Anzeichen sprechen dafür, daß sich das Nachtleben der Heldenstadt an die Bussi- Bussi-Gesellschaft der weiß- blauen heimlichen Hauptstadt herantastet. Die Säulen der jungen Aufschwung-Gesellschaft blicken verächtlich auf die alten Tanzbarkeiten à la Hotel-Nachtbar oder Clubhaus-Disko und pilgern in Scharen, frisch gefönt, zu den neuen sagrotangepflegten Etablissements. Wer Schwabing kennt, weiß nun, was Connewitz blüht: Kir Royal statt Whisky-Cola. Ein Münchner Diskobesitzer zeigte denn auch den hiesigen Nachtschwärmern, wo „der Groove wohnt“. Er wohnt im Dancefloor „U2“ — Bedeutung der Abkürzung bislang unerforscht — im ehemaligen Gebäude der Staatssicherheit am Runden Eck, genauer gesagt in der dortigen Kantine. Direkt über dem Arbeitsamt und der verwaisten Stasi-Ausstellung: Wo früher die Leipziger MfS-Genossen unter Dunstflecken an buntkarierten Tischchen ihre Thüringer Würste verschlangen, wird jetzt New Yorker Hinterhofatmosphäre aufgemalt. Man nehme: einige Dutzend Kübel schwarzer Farbe, mehrere Aluminiumrohre — angekratzt — für die Decke, die obligatorischen Drahtgitter — geputzt — als Raumteiler, glitzernde Plastikauslegware für den Boden, einen arbeitslosen Künstler für die Gestaltung der Wände — future! — und genügend Spiegel für die Tanzfläche. Unter den deutlich sichtbaren Leuchtreklamen des Zigaretten-Sponsors versammeln sich kleine abwaschbare Gartentischchen zwecks Aufnahme eines Schnellimbisses. Die Kontaktaufnahme zu nicht der Clique Zugehörigen erfolgt, wenn überhaupt, im Trend der Zeit nach dem Prinzip: Sehen, Aussortieren, Wegdrehen, bestensfalls Lächeln. Der Flirt in der nächtlichen Kuschelecke des Jugendclubs hat so endgültig abgewirtschaftet, da die exakt alle zehn Minuten auf die Tanzfläche gepusteten Trockeneisnebel und die Techno-Dröhnung der Megawatt- Anlage einen ins kollektive Nirwana des Vergessens katapultiert. Und mit dem Gerücht, die Sitte der gegenseitigen Aufforderung zum Tanze habe sich ostzulande über den 3. Oktober gerettet, muß endgültig aufgeräumt werden. Tanzen leicht gemacht: bis nachts um fünf, die Hitparade von Sachsenradio rauf und wieder runter und wieder rauf. Und kein DJ streut sonst ortsübliche aufmunternde Sprüche unters Volk, der Geburtstag von Monika vergeht ungehört. Und das Publikum? Strömt. Strömt der Gesichtskontrolle entgegen, die fünf Mark Eintrittsgeld in der Hand. Mit Stretchminis gewappnete Mädchen nebst beschlipsten, hawaiibehemdeten Jungs an der Schwelle zur Volljährigkeit drängen auf die Tanzfläche, beäugt von Wirtschaftsprüfern in den Mittdreißigern, die ihre nächtliche Rennstrecke nicht mehr in der Hotel- Nachtbar, sondern im „U2“ beenden. Darunter mischen sich die Dauerwellen-Dandies mit ihren vergoldeten Hälsen, immer eine Nuance zu braun, und komplettieren die Möchtegern-demi-monde mit ihren dezent Visitenkarten verteilenden Damen: „Salon Rosa, nette Damen verwöhnen Sie, auch Dominas...“ Vereinzelt hopst ein in Baumwolle gehüllter Bürgerbewegter durch die von der Parfümerie Douglas geschwängerte Luft und erinnert: „Die Kantine war übrigens das erste, was wir hier gestürmt haben“, woraufhin ihm der Teenager-Zorn über den Gin Tonic zu neun Mark entgegenschrillt. Aber das ist das einzige, worüber man sich erregt — die Preise sind auch schon gesenkt worden. Safer- sax im Aufschwungs-Leipzig: Wo die schöne Jugend einen Stasi-Keller füllt — dankbar, reizend, ungefährlich. Nana Brink