Eine Glocke des Geheimnisses über der Wismut

Das Sanierungskonzept für das Erbe der einstigen Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft liegt im Bundeswirtschaftsministerium unter Verschluß/ Die umliegenden Kommunen kennen das Geheimdokument nicht, fürchten aber eine neue Niederlage  ■ Aus Zwickau Detlef Krell

Keinen Vogelschrei, nicht Halm noch Strauch kennen die flachen Ufer des Helmsdorfer Sees. Milchig suppt die Brühe an das Gestein. Bis fünfzig Meter tief ist der Krater. Er faßt 4,5 Millionen Kubikmeter Wasser, und in den Poren stecken vermutlich weitere 16 Millionen Kubikmeter. „Es muß gelingen, jeden Tropfen Wasser aufzufangen und aufzubereiten“, wenn dieser riesige Schierlingsbecher trocken gelegt wird. Denn in jedem Liter Wasser befinden sich mehr als 100 Milligramm Arsen: im Schlamm sind es gar um die 300 Milligramm.

Gunter Kießig, Vorstandsmitglied der WISMUT-AG, hät das für machbar. Aber zuvor wären noch mindestens zwei Jahre lang Untersuchungsarbeiten notwendig. „Das größte Problem sind die Wasserpfade.“ Begonnen habe die WISMUT bereits mit einigen Schüttungen von radioaktivem Haldenmaterial, um den Grund des Sees zu verfestigen. Gerd Meyer, Umweltbeauftragter der benachbarten Gemeinde Oberrothenbach, kann diesem Optimismus nicht folgen. Es sei nicht auszuschließen, daß Wasser aus dem stillgelegten Absetzbecken einer Uranerzaufbereitungsanlage in das Grundwasser sickert. „Fünf Minuten von hier liegt Zwickau.“

Gelingt es, den Schlammteich trockenzulegen, würde sich der Krater als Endlager für die haushohen, radioaktiven Crossener Abraumhalden eignen. So jedenfalls denkt sich die WISMUT die „Vorzugsvariante“, das Erbe von vier Jahrzehnten „Sowjetisch-Deutscher Aktiengesellschaft“ loszuwerden. Vier Millionen Tonnen Abraum, zu Kegeln zurechtgerieselt, liegen im Crossener Muldetal, und bei jedem Wind wehen die strahlenden Körnchen übers Land. Als WISMUT noch Staat im Staate war, entsorgte die Betriebs-Mafia den todbringenden Berg auf ihre Weise: sie verkaufte ihn. 12 Millionen Tonnen radioaktives Gestein aus der Urangewinnung liegen rund um Crossen unter der Erde, verbaut in Straßen, Fundamenten, in Gärten. Die Crossener Halde strahlt an der Oberfläche mit etwa 500 bis 600 Nanogreve pro Stunde. „Das ist etwa das Doppelte des anzustrebenden Sanierungswertes, 150 wäre normal“, erläutert Gunter Kießig. Er hat mit einem Expertenteam und Gutachtern der Uranerzbau GmbH Bonn das Sanierungskonzept für WISMUTs Erbe geschrieben, einen 1.000 Seiten starken Wälzer. Darin werden, so versichern die WISMUT-Vertreter, für die Katastrophengebiete mehrere Varianten der Sanierung vorgestellt. Jedoch habe sich das Bundeswirtschaftsministerium gegenüber der WISMUT als „Eigner dieser Unterlagen“ erklärt. Der Wälzer liegt also irgendwo in Möllemanns Panzerschrank. Als das Mitglied des Bundestages Werner Schulz (Bündnis 90/Grüne) auf seiner Informationsreise durch sächsische Industriegebiete vergangene Woche in Zwickau und Crossen Station machte, bekam auch er in dieser Frage von der WISMUT-Leitung einen Korb. Möllemann habe mitgeteilt, daß jegliche Weitergabe der Konzeption einer Zustimmung des Bundeswirtschaftsministers bedürfe. Trotzdem behauptet der Leitspruch der Zwickauer Möllemann-AG unbeirrt „Neues Denken — Neues Handeln“. Man pflege ein gutes Verhältnis zu den Kommunen und wolle ihnen gegenüber „nichts verbergen“, beteuert Spartenleiter Gräbner. „Die Kosten für die Sanierung werden jetzt mit etwa 13 bis 15 Milliarden DM veranschlagt. Vorgesehen sind drei Stufen, die mittelfristige Sanierung der am schlimmsten belasteten Flächen bis 1995, die Rekultivierung oder Nachnutzung bis 1998 und, bis über das Jahr 2000 hinaus, die Überwachung.“ Noch in diesem Jahr soll für alle Flächen der Wismut ein Umweltkataster entstehen, wie es schon in Chemnitz ein Gesundheitskataster mit 40.000 Unterlagen von WISMUT-Kumpeln gibt.

Mit den „fertigen Lösungen“ des Unternehmens haben die Kommunen aber ihre eigenen Erfahrungen. „Sind denn die Menschen in die Rechnung einbezogen?“ fragte der Oberrothenbacher Bürgermeister Carsten Schick. Seine Gemeinde befürchtet, daß die Schäden in den Ortschaften wieder hintangestellt werden, während die WISMUT aus der Sanierung gestärkt hervorgeht. Sanierte Flächen sollen zudem wieder an die Gemeinden gehen und nicht „entschädigungslos an die WISMUT“, fordert er. Doch dafür fehle bis jetzt die Rechtsgrundlage. Mit Sorge sieht der Bürgermeister, daß noch immer alle Zeichen auf die Vorzugsvariante — die Umlagerung der strahlenden Halden in den trockengelegten und abgedichteten See also – bei der Entsorgung der Crossener Halde deuten. Die Oberrothenbacher hätten dann noch auf Jahre hinaus ein riesiges Atomgrab vor der Haustür. „Dann hält die Landflucht weiter an“, widerspricht der Gemeindevertreter den Ingenieuren, die sich für ihre Variante begeistern, weil sie das schier Unmögliche offenbar machbar werden ließe: Vier Millionen Tonnen strahlendes Gestein unter die Erde bringen. „Es bleibt doch nicht bei der einen Halde. Gerüchte sprechen schon von fremden Atommüll, der nach Crossen soll.“ Merkwürdig sei auch, daß die WISMUT trotz ihrer Sanierungslast für eine ganze Reihe Ausschreibungen, die mit dem Unternehmen nichts zutun haben, lukrative Angebote machen könne. „Solche günstigen Kalkulationen sind doch nur mit Bonner Hilfe möglich“, meint Bürgermeister Schick. Fundierte eigene Konzepte können die Gemeinden nicht einbringen, denn ihnen stand, im Gegensatz zum Unternehmen, kein Geld für unabhängige Gutachter und Experten zur Verfügung. Doch wie auch immer das „Schattenboxen“ ausgetragen wird, die Entscheidung fällt weitab in Bonn.