Treuhand gibt Ost-Stromaktien nicht ab

„Stillhaltevereinbarung“, solange das Verfassungsgericht nicht über Klagen der Kommunen entschieden hat/ Wirtschaftsministerium verärgert über Investitionsstopp der Stromkonzerne  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Die Treuhand-Anstalt will vorläufig die Aktien der meisten regionalen Stromversorger in den fünf neuen Ländern nicht abgeben. Der Verkauf war zwar nach dem umstrittenen Stromvertrag für den Herbst geplant, doch haben die Klagen von 123 Ostkommunen gegen diesen Vertrag die Treuhand zu einer „Stillhaltevereinbarung“ veranlaßt, die im Bonner Finanzministerium vorliegt. Wegen der Klage der Ostkommunen vor dem Bundesverfassungsgericht werde die Treuhand bei allen betroffenen Regionalversorgern „von der kurzfristigen Übertragung (der Aktien) absehen“, heißt es in dem Papier. Eine Übertragung könne dem derzeitigen Stand „nicht in diesem Jahr“ erfolgen. Das Papier trägt auch die Unterschrift von Treuhand-Vorstand Schucht.

Im Gegensatz zu den Anteilen der regionalen Strommonopolisten sind die Aktien des Verbundunternehmens VEAG nicht von dem Verkaufs-Moratorium betroffen, meint die Treuhand. Auch der Ostberliner Regionalversorger EVAG könne ohne Probleme an die Westberliner BEWAG verkauft werden, denn Berlin habe nicht gegen den Stromvertrag geklagt. „In Berlin fühlen wir uns frei“, so der Treuhand-Beauftragte für die Energiewirtschaft, Hans-Peter Gundermann. Auch etwaige alte Eigentumsansprüche der fünf neuen Bundesländer beim Verbundunternehmen VEAG seien noch kein Thema, da solche Anträge der Treuhand nicht vorlägen.

Die westlichen Stromkonzerne als Käufer vollziehen, wie schon gemeldet, diese Trennung nicht mit. Sie wollten sowohl die Regionalversorger als auch die VEAG nach dem Stromvertrag erwerben. Doch ohne eine positive Entscheidung in Karlsruhe wollen sie nun überhaupt nicht kaufen und auch keine großen Investitionen mehr anschieben. Für den Chef des größten deutschen Stromkonzerns RWE, Friedhelm Gieske, stehen alle Ebenen der Energieversorgung „in enger wechselseitiger Abhängigkeit“ und seien daher von den Klagen „mittelbar betroffen“.

Im Bonner Wirtschaftsministerium reagierte man verärgert auf die Totalblockade der Stromkonzerne; immerhin geht es um Projekte in der Größenordnung von 40 Milliarden Mark, die die Wirtschaft jenseits der Elbe ankurbeln sollten. Diese Entscheidung sei „nicht besonders klug und kann nicht gutgeheißen werden“, hieß es. Vor allem sei sie „dazu angetan, Unmut zu erzeugen bei der Bevölkerung“. Auch der FDP-Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Horst Rehberger, reagierte verschnupft. Ein Investitionsstopp verursache „unvertretbare Verzögerungen“ dringend notwendiger Kraftwerksbauten, so Rehberger. Rehberger fordere die West-Stromkonzerne auf, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Die Ostkommunen klagen gegen den Stromvertrag und entsprechende Bestimmungen des Einigungsvertrages, weil ihnen Eigentumsansprüche auf die kommunale Energieversorgung und damit die Gründung von Stadtwerken unmöglich gemacht werden. 146 Städten der ehemaligen DDR, die in den vierziger Jahren Stadtwerke betrieben, waren diese vom SED-Staat enteignet worden. Jetzt hofft ein Großteil dieser Kommunen durch die Neugründung solcher Stadtwerke eine dezentrale eigene Energieversorgung aufbauen zu können, die ihnen auch noch Geld einbringt.

Eine sogenannte Grundsatzverständigung zwischen Kommunen, Treuhand und Stromkonzernen von Anfang Februar dieses Jahres hatte die Klagen nicht verhindern können. Danach sollten die Kommunen zwar Stadtwerke gründen, möglicherweise sogar Mehrheitsbeteiligungen halten dürfen. Nach wie vor sollten die Kommunen aber 70 Prozent ihres Stromes von den Großkonzernen beziehen und nicht aus eigenen dezentralen umweltfreundlichen Blockheizkraftwerken. Der Mittelweg sei nach der Vereinbarung nicht „hinreichend beschritten worden“, ärgert sich Treuhand-Manager Gundermann. In der Gasindustrie, bei der man sich zu Anfang etwas mehr Zeit genommen habe und bei der sich die Kommunen nicht mit irgendwelchen Westkonzernen, sondern nur mit der Treuhand auseinandersetzen müssen, gebe es heute diese Auseinandersetzungen nicht.

Trotz allen Streits versucht sich Gundermann in vorsichtigem Optimismus. Man habe „Anlaß zu der Vermutung, daß das Verfassungsgericht schnell entscheiden werde“. Er räumte ein, daß „an der Klage sogar etwas dran sein kann“. Sollte sich wider Erwarten noch im Frühjahr keine Entscheidung abzeichnen, müsse man neue Überlegungen anstellen.