Tour d'Europe

■ „Subventionierte Perversion“

Prestigedenken, Selbstdarstellungdrang und die Freude am Töten sind nach Ansicht vom „Bund Deutscher Jäger“ Hauptmotive für die Jagd.

In Deutschland wird dieses denkwürdige Hobby von mehreren hunderttausend Waidmännern betrieben. Sie alle haben Jagdscheine, gehen auf die Pirsch und reden Jägerlatein — dennoch sind sie verschieden. Was die einen von den anderen trennt, sind Moneten und Beziehungen. Die einen haben eigene Jagden — das sind die sogenannten Jagdpächter. Von ihnen gibt es in Deutschland rund 40.000. Die anderen sind einfache Jäger. Dieses jagende Volk, rund 300.000 an der Zahl, organisiert sich mit Vorliebe in Vereinen.

Jagden dürfen die Vereine nicht pachten. Dieses Privileg gesteht das deutsche Jagdgesetz nur Einzelpersonen zu. Sie müssen für ihr Pachtgelände zwischen 70 und 400 Mark pro Hektar und Jahr zahlen. Gesetzlich zugelassen sind maximal 1.000 Hektar pro Pächter. Doch diese Beschränkungen lassen sich leicht umgehen, wenn z.B. mehrere Grafen, Barone oder Aufsichtsräte benachbarte Gelände pachten und gemeinsam nutzen.

Leisten können sich das teure Vergnügen nur wenige. Hinzu kommt, daß vor der Vergabe einer Jagd oft schon neue Kirchenglocken im Dorf hängen oder der örtliche Schützenverein eine großzügige Finanzspritze erhalten hat. Denn Jagden bekommt man durch „Protektion und Schmiere“, verrät der Vorsitzende des „Bundes Deutscher Jäger“, Jürgen Müller-Hirschmann.

Auf seiner eigenen Jagd wird der Pächter dann zum Herrn über Leben und Tod. Nebenbei lassen sich dort prächtig Geschäftsabschlüsse und politische Bündnisse schließen.

Damit das Jagdrevier ordentlich Spaß bringt, wird das Wild das ganze Jahr über gemästet und aufgepäppelt. „Herbstmastsimulation“, heißt diese Überfütterung, die dazu geführt hat, daß heute elf- bis zwölfmal soviel Wild in den geschrumpften deutschen Wäldern lebt, wie 1938. Dieses Rot-, Schwarz- und Rehwild macht sich über den Wald her. Es frißt junge Triebe auf und schält ältere Bäume, um die Rinde zu vertilgen. Keine Pflanze ist vor den hungrigen Tieren sicher. Neuer Wald kann nur noch eingezäunt wachsen.

Bei der „Herbstmastsimulation“ entstehen alljährlich millionenschwere Waldschäden. Das ist „subventionierte Perversion“, klagt Müller-Hirschmann, dessen Verein die Interessen der pachtlosen Jäger vertritt und gerade ein neues Jagdgesetz erarbeitet.

Andernorts wurde das Problem der Wildüberbevölkerung mit völlig anderen — wenn auch nicht gerade sanfteren — Methoden bekämpft. Zum Beispiel Irland: Dort gab es während des Zweiten Weltkriegs so wenig Fleisch, daß die Kanickeljagd zwangsläufig populärer wurde. Als nach Kriegsende eine neue Schonzeit einsetzte, vermehrten sich die Hoppelmänner wieder so rasant wie Kanickel es gemeinhin tun. Den Iren fiel nichts besseres ein, als die Kanickel mit der berüchtigten Krankheit Myxomatose zu infizieren. Die erblindeten Tiere mußten nur noch eingesammelt werden.

So radikale Lösungen wären freilich auch nicht nach dem Geschmack der hiesigen Jagdpächter — dann könnten sie gleich die Flinte ins Korn werfen. dora