Oppositionsführer in Georgien verhaftet

■ Gamsachurdia läßt den Vorsitzenden der Nationaldemokraten, Tschanturia, aus dem Flugzeug holen/ Der ehemalige Ministerpräsident Schigua klagt an/ Zwei Großkundgebungen in Tbilissi

Tbilissi (taz) — Das Wort des Vorsitzenden George Bush, daß die Völker der Sowjetunion nicht den Großtyrannen KPdSU gestürzt hätten, um an seiner Stelle viele kleine Despoten zu erdulden, erfährt in Georgien eine beängstigende Bestätigung. Nicht nur, daß der mit überwältigender Mehrheit gewählte Präsident Swiad Gamsachurdia Konkurrenten bedrohte und mißhandelte, die Presse gleichschaltete und auf Demonstranten schießen ließ: am Montag abend zwang er ein Flugzeug, das den Oppositionspolitiker Georgi Tschanturia an Bord hatte, zur Rückkehr nach Tbilissi und ließ den Widersacher verhaften. Das Verbrechen von Tschanturia hatte darin bestanden, nach Moskau fahren zu wollen, um dort den Botschafter der USA über das Regime in Georgien aufzuklären und über die diplomatische Anerkennung Georgiens zu verhandeln.

Gamsachurdia hatte allerdings schon vorher schlechte Karten bei der Bush-Administration. Äußerte er doch gegenüber CNN, Gorbatschow habe mit den Putschisten gemeinsame Sache gemacht, um sie anschließend zu verraten und sich als Widerständler feiern zu lassen. Derlei hört Bush nicht gern. Mit seiner Verschwörungstheorie konnte Gamsachurdia nicht die Vorwürfe überspielen, er selbst habe sich in den Tagen des Putschs zweideutig verhalten. Die Opposition klagt ihn an, für die Veröffentlichung der Putsch- Dekrete in Georgiens Presse gesorgt und sich mit dem Kommandanten des sowjetischen transkaukasischen Militärbezirks getroffen zu haben. Dabei soll der Präsident die Auflösung der georgischen Nationalgarde zugesagt haben.

Gamsachurdias zwielichtige Rolle während des Putschs stand auch im Mittelpunkt der Rede, die sein ehemaliger Vertrauter und Ministerpräsident, Tengis Schegua, auf der Kundgebung der Opposition am Montag in Tbilissi hielt. Bewacht von einem Dutzend Mitglieder der Nationalgarde, die sich von Gamsachurdia losgesagt hat, forderte der geschaßte Ministerpräsident für die Opposition Zugang zu den Medien und politische Chancengleichheit. Zwischen 5 und 20.000 Menschen hatten sich vor dem Iveria-Hotel versammelt und bedachten ihren Präsidenten mit „Judas“- und „Ceausescu“-Sprechchören. Der Volksfrontabgeordnete Nadar Natadse, einer der Gegenkandidaten Gamsachurdias, rief dem Präsidenten zu: „Beende deine Diktatur!“

Nur wenige hundert Meter entfernt, vor dem Präsidentenpalast, holte der Geschmähte auf einer Kundgebung zu Gegenangriffen aus: die Protestaktionen seien eine von sowjetischen KGB-Agenten inszenierte Provokation. Gamsachurdia bestritt jede Schuld am blutigen Eingreifen der Polizei gegen die oppositionelle Demonstration vom 2. September. Es habe keinen Schießbefehl gegeben, künftig werde das Verhalten der Sicherheitskräfte besser kontrolliert. Der Präsident griff Tengis Schigua heftig an. Er habe versucht, hinter seinem Rücken Waffen zu kaufen. „Das ist Hochverrat“, erklärte er vor der jubelnden Menge, „Schigua hat mich verraten, darauf wird er die gebührende Antwort erhalten“. Christian Semler