Der zwielichtige Wüterich von Marbella

■ Jesús Gil y Gil, skrupellos-tumber Präsident vom Schuster-Klub Atletico Madrid, Immobilienhai und seit 100 Tagen Bürgermeister der andalusischen Stadt Marbella, macht seinem miserablen Ruf alle Ehre

Madrid (dpa) — Für Jesús Gil y Gil, den Präsidenten des spanischen Erstligaklubs Atletico Madrid, wird das große Spanien langsam zu klein. Der Tatendrang des 57jährigen skandalumwitterten Baulöwen ist nicht zu bremsen. Obwohl ihm die Führung des derzeitigen Tabellenersten und die Leitung seines Immobilienimperiums angeblich täglich 20 Stunden Arbeit abverlangt, schwang er sich kürzlich auch noch zum Bürgermeister des Jet-Set-Mekkas Marbella an der Costa del Sol auf. Dieser Tage feierte Gil die ersten hundert Tage im Sessel des Alkalden — natürlich inmitten zahlreicher Skandale.

Seit Gils Amtsantritt im Frühsommer steht Marbella Kopf. Der bullige Unternehmer regiert wie ein römischer Volkstribun — ohne Rücksicht auf Gesetze, Vorschriften und demokratische Gepflogenheiten. Schon hat er eine ganze Reihe von Beschwerden und Klagen am Hals, weil sich der Fußballpräsident unbekümmert über so „bürokratischen Kleinkram“ wie Ausschreibungen, die Einhaltung von Fristen, die Achtung der Rechte seiner Mitbürger und die Pflichten eines Bürgermeisters selbstherrlich hinwegsetzt.

So wie 1969, als er eine große Versammlungshalle ohne Architekt und Meisterpolier baute, die dann 300 Menschen unter sich begrub. 58 Menschen kamen ums Leben, Gil aber nur für 18 Monate ins Gefängnis, weil ihn Generalissimo Franco auffällig rasch begnadigte. Dafür bekam der 1975 verblichene Dikator jetzt in Gils Marbella eine Ehrentafel, vom Bürgermeister selbst enthüllt.

Ohne das Enteignungsverfahren abzuwarten, ließ er das Haus seines Amtsvorgängers im Zuge einer Straßenerweiterung abreißen. Andere Gebäude, die seinen Plänen im Wege standen, mußten ebenso weichen wie Stadtbeamte, die Gil zu widersprechen wagten. „Marbella muß von Dreck, Nutten und Drogensüchtigen gesäubert werden“, versprach Gil im Wahlkampf und errang auf Anhieb mit seiner „Grupo Independiente Liberal“ (GIL) die absolute Mehrheit in der Stadtversammlung des 60.000 Einwohner zählenden Badeorts.

Die Straßenreinigung bekam die Firma eines Freundes zugeschanzt. Die Prostituierten verscheuchte Gil von der Hauptstraße und will ihnen ein „putodromo“ (Freudenhaus) am Stadtrand bauen. Die Jugend Marbellas verunglimpfte er öffentlich als „Drogensüchtige“ und „Abschaum der Menschheit“ und ließ ihre Treffs schließen. Bei einem nächtlichen Rundgang Gils am „Tatort“ Puerto Banus provozierte der Hobbyreiter und Stierzüchter am 18. August eine Straßenschlacht, die über 30 Verletzte forderte. „Gil- ler“ — im Spanischen ähnlich wie „Hitler“ — scholl es ihm im Hagel von Flaschen und Steinen entgegen.

Die Polizei rüstet Saubermann Gil von 126 auf 314 Beamte auf und mietet ihr (offenbar bei der eigenen Firma) 40 neue Streifenwagen, kauft ihr 25 neue Motorräder und bestellt ihr 20 Polizeipferde, auf denen auch die Kinder reiten dürfen sollen. Das Gemeindebudget wurde unter Gil mit einem Schlag um 37 Prozent auf zwölf Milliarden Peseten (fast 200 Millionen Mark) aufgestockt; der Etat für „unvorhergesehene Ausgaben“ auf 117 Millionen Peseten (zwei Millionen Mark) verfünffacht.

Das Rathaus betrat der Hobbybürgermeister indessen in den ersten 100 Tagen nur dreimal. Gil regiert nämlich lieber von seinem Büro in Marbellas „Immobilien-Finanzclub“ aus. Dort vergibt er, so berichtet die spanische Presse, ruckzuck Baulizenzen (ein begünstigter Scheich bedankte sich mit einem sechs Meter langen Cadillac). Von dort aus bugsierte er offenbar entgegen allen Regeln des Beamtentums rund 60 Freunde und Sympathisanten auf Posten in der Gemeindeverwaltung.

Dort genehmigte er anscheinend den bei Nacht und Nebel vollzogenen Bau einer stinkenden Teerfabrik am Rande des Badeorts. Dort plant er auch drei große Neubauvorhaben im Umfeld Marbellas, obwohl der Verkauf seiner eigenen, dort gelegenen Riesenappartementanlage ins Stocken geraten ist. Nicht wenige vermuten daher, der von seinen Mitbürgern bewunderte „Macher“ Gil wolle vom Rathaus aus vor allem seine Geschäfte fördern. Schon erteilte er seinen Stadträten Redeverbot gegenüber der mißtrauischen Presse.

Marbella soll bald, ginge es nach Gil, Las Vegas und Miami Beach in den Schatten stellen. Aber wer soll das bezahlen? Marbella war schon vor Gil pleite — so pleite wie sein Fußballklub Atletico Madrid, der mit 1,2 Milliarden Peseten (20 Millionen Mark) in der Kreide steht. Aber Gil plant schon Größeres. Er will eine Partei gründen. Das Bürgermeisteramt Madrids ist ihm allerdings „ein paar Nummern zu klein“. Gil, der auch eine Fernsehshow leitet, erklärt: „Wenn ich schon antrete, dann um Regierungschef zu werden.“ Rolf Hilpert