„So nach dem Motto: Ausländerhure!“

Von den Schwierigkeiten, sich im Sauerland für die Völkerverständigung einzusetzen/ Seit einem halben Jahr lebt Gertrud Golian mit anonymen Drohungen/ Ihr Engagement für Kirchenasyl von abschiebebedrohten Flüchtlingen wird mit ständiger Schikane gedankt  ■ Von Bettina Markmeyer

Die Sonne scheint auf den Küchentisch. Dort liegt im warmen Licht dieses Septembermorgens ein Zeitungsausschnitt vom August. Berichtet wird über den Urlaub der siebenjährigen Jasmina Timorowsky. Glückliche Ferien mit neuen Freundschaften zu einem Hund namens Benni, zu den Kaninchen im Stall und zu Jenni, der kleinen Enkelin der Gastgeberin. Dazu ein Foto: zwei vergnügte Mädchen im Strandkorb. Der Strandkorb steht in Gertrud Golians steil ansteigendem Garten, weitläufig umgeben von den schlanken, kranken Fichten des Sauerlands.

Gertrud Golian hatte das Roma- mädchen Jasmina aus Kaarst bei Düsseldorf für vier Wochen eingeladen. Die 55jährige setzt sich an den Tisch: „Nach diesem Zeitungsartikel konnte ich sicher sein, daß wieder was kommt.“ Im August kamen anonyme Anrufe. „Wir werden dich auf offener Straße abschlachten“, drohte ein Mann, der „der Stimme nach“, so Golian, „den letzten Krieg noch mitgemacht haben könnte“. Sie sei krank, bekloppt und eine Schande für die Menschheit, bekam die Ferienomi ungezählte Male am Telefon zu hören, und, daß „man mir das Haus über dem Kopf anzünden will“.

Schon Anfang März hatte sie die erste telefonische Morddrohung erhalten. Zwei Sonntage später klingelte das Telefon neunmal. Gertrud Golian ging zur Kripo und erstattete Anzeige. Dann erhielt sie einen anonymen Brief: „Da drin war ein benutztes Kondom mit Knoten und Inhalt, so nach dem Motto: Ausländerhure!“ Den Brief gab sie der Kripo. Die Anrufe gingen weiter. Einmal stand ein Taxifahrer vor der Tür und behauptete, die Golians hätten ihn gerufen. Ein anderes Mal lieferte, „wie vereinbart“, ein Lüdenscheider Bäcker eine Riesenplatte Kuchen. Golian: „Weder das Taxi noch den Kuchen hatten wir jemals bestellt.“

Womit zieht diese Frau aus dem Dorf Wigginghausen im Sauerland solchen Haß auf sich? Gertrud Golian blättert in ihrem Terminkalender. „Am 28. Februar fingen wir an mit dem Kirchenasyl.“ „Betten besorgt“, steht da, oder, einige Tage weiter, „40 Mark an Hasanis“. Gertrud Golian war zum katholischen Pfarrer von Herscheid gegangen und hatte für eine junge Roma-Familie mit zwei kleinen Kindern um Asyl in der Kirchengemeinde gebeten, um die Familie vor der drohenden Abschiebung nach Jugoslawien zu bewahren. Mit Zustimmung des Essener Bistums richteten sie und Pfarrer Johan Reijs einen Raum im Cyriakus-Gemeindezentrum ein, besorgten Möbel und Essen, wuschen die Wäsche und gingen mit den Kindern zum Arzt.

„AusländerInnen nur wie Deutsche behandeln“

Die Roma-UnterstützerInnen hatten nicht nur „jede Menge Streß“, sie polarisierten auch die Meinungen in der konservativen Sauerlandgemeinde. Der Pfarrgemeinderat trat aus Protest zurück, andere HerscheiderInnen halfen der Familie. Der nordrhein-westfälische Flüchtlingsrat machte „den Fall“ bekannt und forderte Bleiberecht für die Roma. Für Gertrud Golian indes gingen die Belästigungen weiter.

Im April fing jemand an, sich in ihrem Namen auf Kontaktanzeigen im 'Lüdenscheider Boten' zu bewerben. „Der schickte ein Foto von einer halbnackten Frau mit und meine Telefonnummer: Ruf doch mal an“. Also meldeten sich von nun an jedes Wochenende diverse Männer bei den Golians, die die schöne, junge Frau von dem Foto ins Bett holen wollten. Gertrud Golian fuhr mit ihrem aufkleberbewehrten, roten Fiat 126 zwischen Plettenberg, Iserlohn, Herscheid und Lüdenscheid herum, „um bei den Männern die Unterlagen wieder einzusammeln für die Kripo“. Ihr kleines Auto ist bekannt in der Gegend. Zweimal wurden ihr bisher die Reifen aufgeschlitzt: einmal in Herscheid und einmal vor ihrer eigenen Haustür.

Dabei hat sich Gertrud Golian lediglich entschieden, AusländerInnen nicht anders zu behandeln als ihre deutschen Mitmenschen. Seit die Container an der Herscheider Bahnhofstraße aufgestellt wurden, hat sie sich um Kontakt zu den BewohnerInnen bemüht. Sie kümmert sich um Ämterbesuche und Babywäsche, beschafft alte Fahrräder für die Kinder, organisierte eine Weihnachtsfeier und pflanzte mit dem Flüchtlingsrat und Kirchenleuten Blumen an den Containern. „Ich gehe da ganz praktisch ran“, sagt Gertrud Golian. „Geholfen ist nicht damit, daß zum Beispiel die Kirche 200 Mark rüberschiebt. Geld ist auch wichtig, aber geholfen ist vor allem damit, daß wir da sind, präsent sind.“

Auf die Idee mit dem Kirchenasyl kam Gertrud Golian erst, nachdem sie in den Herscheider Asylcontainern Zeugin einer jener Abschiebungen im Morgengrauen geworden war: „Eine Frau mit zwei kleinen Kindern — und nicht mal ne Stunde Zeit zum Packen!“ Das wollte sie den Hasanis aus Jugoslawien ersparen. „Ich sag ja nicht“, erklärt die resolute Mittfünfzigerin, die auch für die Grünen im Stadtrat sitzt, „daß noch eine Million herkommen soll. Hab ich nie gesagt! Aber die, die hier sind, sollen menschenwürdig behandelt werden!“ Auch die Hasanis wurden nach drei Monaten im Gemeindehaus schließlich von der Abschiebung überrascht, auch sie in aller Frühe. „Ohne Papiere, ohne Babynahrung, alles zack zack, selbst das Fläschchen für den Säugling ist hiergeblieben!“ Geburts- und Heiratsurkunden der Hasanis liegen jetzt in Gertrud Golians vollgepfropftem Schreibtisch. Der Kontakt zu der Roma-Familie ist abgerissen.

Um solch eine Erfahrung zu kommentieren, braucht Gertrud Golian nur wenige Worte. „In unserem Grundgesetz steht, die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Von der Politik erwartet sie nicht viel, aber von den Kirchen ist die Protestantin enttäuscht. „Die schweigen und schauen meistens weg. Ein bißchen wie schon einmal vor fünfzig Jahren. Dabei könnten Kirchengemeinden gerade im Alltag viel machen.“ Frauen wie die Golian aber bleiben Exoten.

Für vieles wird die Frührentnerin verantwortlich gemacht. Jüngst forderte ein CDU-Ratsherr sie auf, aus dem nahegelegenen Bach Abfälle von den Asylbewerbern herauszuholen. „Alles, was da schiefläuft, bin ich“, lacht Gertrud Golian. Dem CDU-Mann empfahl sie, „selbst die Gummistiefel anzuziehen und in dem Bach herumzuplanschen“. Die Flüchtlinge, derzeit AlbanerInnen und Roma aus Jugoslawien, strapazieren sie nicht minder. „Golian, du hilfen mir“, bettelt Vera, noch bevor die Deutsche das stickige Zimmer im Container betreten hat. Vera will neue Kleidung, ihre Freundin hat vor zwei Monaten ein Kind geboren, es aber nicht angemeldet. „Nie“, seufzt die Golian, „nie komme ich hier ohne neue Arbeit raus“.

Gertrud Golian hat Schlosserin gelernt, acht eigene Kinder großgezogen und, bis ihre Gesundheit nicht mehr mitmachte, „nebenbei“ bei der Post gearbeitet. Sie kann einiges aushalten: den Kampf um Gutscheine für ein paar Kinder, T-Shirts auf dem Sozialamt, manch scheelen Blick im Dorf und auch die Beschimpfungen am Telefon. „Meine Familie steht hinter mir“, sagt sie. „Besonders mein Mann“, der als Kesselwärter im Lüdenscheider Krankenhaus arbeitet, „zieht voll mit“. Andernfalls, argwöhnt sie, „hätte ich wohl spätestens bei dieser Kontaktanzeigengeschichte zu Hause Ärger gekriegt“.

Daß sie anonym beschimpft und bedroht wird, das macht Gertrud Golian wütend. „Leute mit solchen Meinungen sollen sich mit mir auseinandersetzen!“ Die Staatsanwaltschaft in Hagen hat die Ermittlungen nach zwei Monaten eingestellt. Angst? „Nee, Angst hab ich nie gehabt!“, sagt Gertrud Golian. Manchmal allerdings sei sie müde. „Dann will ich nichts mehr hören und sehen. Und dann tu ich auch nichts.“ An solchen Tagen geht sie in den Garten zu ihren Blumen, „oder ich streiche eine Wand im Keller“. Den Plattenweg zur Haustür säumen unzählige Töpfe blühender Geranien, Begonien und Fuchsien. Und neben Gartenzwerg und Strandkorb vervollständigt eine alte Schubkarre aus Holz die Dekoration. Erst beim zweiten Hinschauen ist der Spruch zu sehen: „Lewer duad, üs Slav.“ Lieber tot, als eine Sklave, steht da zwischen den Geranien.