INTERVIEW: Lehrer sind ohne Schuld
■ Reiner Hoppe, GEW-Chef von NRW, zum Spargutachten
taz: Herr Hoppe, die GEW hat im Vorfeld das Gutachten als „Verschwendung von Steuergeldern“ gegeißelt. Hatten Sie Anlaß, die Ergebnisse zu fürchten?
Reiner Hoppe: Wir haben von Verschwendung deshalb gesprochen, weil wir uns sicher waren, daß eine wissenschaftlich korrekte Studie genau das ergeben würde, was wir selbst seit Jahren über die Bedarfslücken sagen. Genau so ist es gekommen. Befürchtet haben wir eine falsche Interpretation. In der Presse wird ja so getan, als seien die Lehrer an allem schuld. Tatsächlich geht das Gutachten in eine völlig andere Richtung.
Das Gutachten sieht Sparmöglichkeiten bei einigen tausend Lehrerstellen.
Die Kienbaum-Zahlen sind doch eindeutig: Um alles das, was rechtlich im Schulbereich vorgeschrieben ist, erfüllen zu können, müßten 17.000 neue Lehrer eingestellt werden. Wegen der wachsenden Schülerzahlen müßten bis zum Jahr 2000 noch einmal 19.000 Stellen zusätzlich geschaffen werden. Plus Neueinstellungen wegen Pensionierung kommt man in den nächsten acht Jahren auf einen Einstellungsbedarf von 6.500 bis 7.000 pro Jahr. Daß die Fortbildung oft während der Unterrichtszeit angeboten wird, hat mit uns nichts zu tun. Das ist eine organisatorische Frage.
Fort- und Weiterbildung binden etwa 3.300 von 137.000 Lehrerstellen in NRW. Böte man diese Kurse in der unterrichtsfreien Zeit — also auch in den Schulferien — an, müßte weniger Unterricht ausfallen. Das geschieht nicht, weil die Schulämter als Träger der Weiterbildung offenbar befürchten, daß dann die Angebote nicht mehr nachgefragt würden. Ist diese Annahme so unrealistisch?
Das ist rein hypothetisch. Fortbildung gehört zu den dienstlichen Pflichten und muß auf die Arbeitszeit angerechnet werden. Wie das geschieht ist Sache der Schulaufsichtsbehörden. Es ist auch eine Kapazitätsfrage, ob man das in den unterrichtsfreien Tagen bewältigen kann.
Pro Jahr kosten 17.000 neue Lehrer zirka zwei Milliarden DM. Der Finanzminister hat das Geld nicht. Muß nicht auch die GEW über eine Reduktion der Standards nachdenken?
Die GEW sträubt sich nicht gegen eine Diskussion darüber, was sich ein Land wie NRW noch bildungsökonomisch leisten kann. Die Frage ist nur, wo man ansetzt. Die Maßnahmen gehen zu 80 Prozent zu Lasten der Schülerinnen und Schüler und vielleicht zu 20 Prozent zu Lasten der Lehrerinnen und Lehrer. Insgesamt macht das aber längst nicht das aus, was wirklich fehlt. Es bleibt ein Riesendefizit. Tatsache ist, daß das vielfach zersplitterte Schulwesen in NRW der Kostenfaktor ersten Ranges ist. Da muß man ran, ehe man sich populistisch daranmacht, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verschlechtern.
Überall verkürzt sich die Arbeit, nur für SchülerInnen nicht?
Es ist notwendig, über die Arbeitszeit der Kinder zu reden, aber es bedarf einer pädogogischen Diskussion und Konzeption, wenn man die Stundenzahl verringern will. Interview: Walter Jakobs
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