Pausenloser Luftalarm in Zagreb

■ Auch nach Inkrafttreten des Waffenstillstandsabkommens wurde in Kroatien weiter gekämpft/ Explosionen und Brände in Zagreb/ Carrington trotzdem nicht ohne Zuversicht

Zagreb (afp/dpa) — Lord Peter Carrington, EG-Vermittler im jugoslawischen Bürgerkrieg, war am Mittwoch mittag bemüht, Hoffnung zu verbreiten. Erst 24 Stunden nach Inkrafttreten des Waffenstillstandsabkommens, sagte er, könne deutlich werden, ob dieses eingehalten werde oder nicht. Carrington wörtlich: „Es wäre ein Wunder, wenn man dies schon um 12 Uhr hätte erkennen können.“ Und tatsächlich: auch nach dem von den Präsidenten Serbiens und Kroatiens, Milosevic und Tudjman, sowie dem jugoslawischen Verteidigungsminister Kadijevic vereinbarten Termin wurde — nach Berichten des Zagreber Rundfunks — weiter geschossen. Kämpfe zwischen der Bundesarmee und der kroatischen Nationalgarde gab es in der Nähe der Kaserne von Vinkovci in Slawonien sowie bei Varazdin, 60 Kilometer nördlich von Zagreb.

Dennoch war Carrington zu weiteren Konzessionen bereit: Die Fortsetzung der Friedensbemühungen mache auch dann Sinn, wenn es nach der Vereinbarung nur zu gelegentlichen Gewaltausbrüchen komme, „zu Zwischenfällen, die man als Guerillakrieg bezeichnen könnte und die nicht von den Leuten zu verantworten sind, die die Vereinbarung unterzeichnet haben“. Allerdings“, so der Lord weiter, „müßten die Gefechte schon ganz entscheidend nachlassen, ehe es Sinn machen würde, von einer Friedenskonferenz ein Ergebnis zu erwarten.“

Nur wenige Stunden vor dem vereinbarten Beginn des neuerlichen Waffenstillstandes war es in ganz Kroatien zu den bisher schwersten Kämpfen seit Beginn des Bürgerkriegs gekommen. Dabei wurde zum ersten Mal in der gesamten Republik Luftalarm ausgelöst. Am frühen Morgen wurde die Hauptstadt Zagreb angegriffen. Radio Zagreb meldete, daß aus einer Kaserne mit Artilleriefeuer und Minenwerfern der Osten der Stadt beschossen wurde. Dabei sollen fünf kroatische Nationalgardisten und zwei Zivilpersonen verletzt worden sein. Zwei Schulen, zwei Privathäuser und ein Straßenbahnwagen seien getroffen worden, eine Chemiefabrik ging in Flammen auf. Von den Medien wurden die Stadtbewohner ausdrücklich vor Armee-Scharfschützen gewarnt. Sechs Heckenschützen, die von mehreren Hausdächern, darunter auch von Militärgebäuden, geschossen hatten, wurden festgenommmen. Bis Mittwoch nachmittag wurde in Zagreb viermal Fliegeralarm gegeben.

Noch am Morgen hatte die jugoslawische Marine die Küstenstadt Sibenik beschossen, drei ihrer Schiffe sollen dabei von kroatischen Nationalgardisten zerstört worden sein. Fast völlig zerstört ist nach Luftangriffen inzwischen auch die von der Armee umstellte slawonische Stadt Vukovar. Eingenommen hat die Bundesarmee den zivilen Flughafen der Adriastadt Zadar.

Opfer der Krieges wurden auch wieder ausländische Beobachter. Der niederländische Journalist van der Mast wurde bei einem Panzerangriff der Bundesarmee im westslawonischen Okucani getötet, kroatische Milizionäre verwundeten den dänischen EG-Beobachter Fokdal.

Daß die „Lunte am Pulverfaß Balkan“ auch durch diesen Vermittlungsversuch noch keineswegs gelöscht ist, ließen auch die Aussagen des kroatischen Präsidenten Tudjman sowie des stellvertretenden Verteidigungsministers Negovanovic deutlich werden. Dabei versuchte jede Seite, der anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Tudjman: „Wir halten uns an das Abkommen, wenn es die anderen auch tun.“ Negovanovic: „Die Einhhaltung der Waffenruhe hängt von der anderen Seite ab.“

Der jugoslawische Staatspräsident Stipe Mesic forderte die Europäische Gemeinschaft erneut auf, die Republiken Slowenien und Kroatien als unabhängige Staaten anzuerkennen. Zugleich kündigte er seinen Rücktritt für die Zeit nach dem 7.Oktober an. Die Begündung des kroatischen Politikers: „Jugoslawien existiert nur noch dem Namen nach. Wenn Slowenien und Kroatien am 7.Oktober ihre Unabhängigkeit ratifizieren, möchte ich nicht länger Präsident eines Landes sein, das nicht mehr existiert.“ Zum jüngsten Waffenstillstand hatte der Präisdent eine eindeutige Meinung: Die Kroaten seien bereit, diesen einzuhalten, „doch offenbar ist weder Serbien noch die Armee dafür“. her