Eine Akademie der Fehler

■ Vor der Wahl: die Kulturköpfe der Parteien im Querverhör / Heute: Helga Trüpel (Die Grünen)

taz: Die Grünen fordern für Bremen einen Kulturrat. Soll das eine Nebenregierung werden oder bloß ein Debattierklub?

Helga Trüpel: Beides nicht. Bloß ist klar geworden, daß man diese resignierte, gelähmte Kulturbehörde nicht mehr weiter vor sich hin muddeln lassen darf. Ein Kulturrat soll sich da mit Vorschlägen einmischen. Die großen Millionen kann er aber sicherlich nicht verteilen.

Aber vielleicht einen Teiletat?

Ob die Kulturszene das will? Sollen sie lieber auf uns, die Schweine in der Deputation schimpfen, als daß sie sich selber in die Haare kriegen. Nein, aber denkbar ist, daß für eine „Akademie der Fehler“, wo junge Talente sich ausprobieren können, sagen wir: drei Millionen rausgerückt werden — die könnte so ein Kulturrat verwalten.

Und sonst Befugnisse?

Es ist ja noch nicht klar, wer den in welcher Form überhaupt will. Der Kulturrat sollte sich aber, um erstmal Öffentlichkeit zu schaffen, alle zwei Monate treffen, unter Beteiligung der Deputierten,

Helga Trüpel: „Wenigstens nicht die dämlichsten Bollerköpfe“Foto: S.Heddinga

und Empfehlungen für den Senat ausarbeiten.

Das würde die Kulturszene zwingen, sich was auszudenken.

Ja!

Und wie lange will man jetzt noch damit warten?

Naja, dieser Blockiertheit auf Behördenebene entspricht schon ein Stück weit eine Behäbigkeit in der Szene selber.

hierhin bitte

das Portraitfoto

von der jungen Frau

Die Grünen fordern, daß vier Jahre lang je 15 Millionen auf den Kulturetat draufgelegt werden. Woher nehmen?

Es gibt dieses Flächenerschließungsprogramm für neue Gewerbeansiedlungen, da stecken 570 Millionen drin. Wir denken, mit ökologischer, das heißt auch flächensparender Bauweise kann man da gut 10 Prozent abspecken. Das wär's schon.

Aber was nützt die bloße Geldvermehrung? Womöglich vertieft sich da nur die Abhängigkeit der Szene von der Behörde, dieser mythischen Versorgerin?

Das ist ein Problem.

Und alternative Steuerungsmittel? Würden Sie Kunsthäuser, Theaterhäuser aufbauen, paar Scheinwerfer reinstellen und dann den Leuten sagen: jetzt schlagt euch mal durch?

Ich bin ja, wenn es gegen die Pfründenwirtschaft der SPD geht, allen Lösungen gegenüber sehr offen. Auch in dieser Härte. Sozusagen: Wir geben euch ein Stück Infrastruktur, aber wir sind hier nicht der große Pappa, der euch immer durchfüttern kann, und die letzten Deppen schon gar nicht. Es gibt ja schon Überlegungen, sowas wie ein Stadttheater von unten aufzubauen: mit geringen Zuschüssen, aber hohem Qualitätsanspruch.

So eine Art Kampnagelfabrik auf bremisch?

Ja. Die Diskussion hat natürlich mit diesem hochproblematischen Ernst-Waldau-Theater zu tun und damit, was aus diesem Standort wird.

Sie sind ja promovierte Literaturwissenschaftlerin. Haben Sie nicht manchmal Lust auf politische Fahnenflucht, zurück zur Literatur?

Schon, oft. Aber in der Kulturpolitik bewege ich mich schon auch gern. Da trifft man ja auch nicht auf die ganz dämlichen Bollerköpfe. Am allerliebsten aber würd ich reisen und Filme machen, so in der Art von Troellers Reihe „Frauen der Welt“.

Soweit kommt's noch. Üben Sie jetzt schon eine Art Kultur aus?

Ich hab mal Modern Dance gemacht. Schöne Bewegung. Später Ballett, aber als ich merkte, daß ich doppelt so alt war wie die anderen Mädchen, das war dann doch komisch.

Wenn Sie morgen als Intendantin des Bremer Theaters aufwachen würden: Was täten Sie als erstes?

Einen Spielplan mit austüfteln mit Themenschwerpunkten. Wo sich jetzt alles rasant verändert, könnte das Theater dabeisein, zum Beispiel mit einem gemischten Programm „Diktaturen im 20. Jahrhundert“. Solche Sachen. Je nachdem, was in der Luft liegt.

Und was würden Sie, sagen wir mal: mit einem geschenkten Orchester anfangen?

Erst die „Nacht“ von Schönberg spielen lassen, dann Mozarts Requiem, und dann würd ich mir Philosophen einladen und andere gescheite Leute zum Diskutieren über die Musik.

Man merkt den Kunstanspruch. Unter den breiten sozialdemokratischen Kulturbegriff fallen aber sowohl das Staatsorchester als auch der Batikkurs um die Ecke. Würden Sie das lieber trennen?

Schwierig. Die Gefahr ist, daß die sogenannte Breitenkultur dann zur dämlichen Sozialarbeit degradiert wird. Das wär grad ein Thema, worüber ein Kulturbeirat diskutieren müßte: ob es nützt, wenn aus der Kulturpolitik das Soziale ausgegliedert wird und die Kunst übrigbleibt.

Vielleicht wär das der Kultur gar nicht recht?

Warum nicht?

Weil dann erstmals eine Qualitätsdiskussion möglich wäre.

Es gibt ja schon die selbstbewußten Leute, die sagen: Wir machen tolle Sachen, wir wollen nicht, daß die, die ein bißchen rumhampeln, genauso behandelt werden wie wir. Da wird's ohnehinknallen in den nächsten Jahren. Fragen: Manfred Dworschak