Kunstlicht

■ Antipoden, Afterphilosophen und ein Kunstpreis

Die Antipoden Bremens leben ungefähr in der Gegend um Passau, eine Tatsache, die eo ipso ein Nord-Süd-Problem mit sich führt. Nämliches geht die GadeWe in Walle mit ihrer Konzeptreihe nord sued an: GadeWe-Mitglieder tragen ihre Kunst nach Niederbayern, Herren der Produzentengalerie Passau werben hier für die Reize ihrer Region. Wie jetzt Theo Scherling unter dem afterphilosophischen Titel „Landschaften — Kopfschaften“. Darunter er mythisch aufgeladene Material- und „Geißelbilder“ versammelt. (Reuterstr.9-17, bis 8.10.)

Der Kunstverein Nord, der seit einem Knatsch mit dem KITO kein Dach überm Kopf mehr hat, ist vorübergehend bei der Galerie Z & M in Vegesack untergekommen. Dort zeigt er jetzt den großen Dänen Per Kirkeby, der schon mit Beuys Performances gemacht hat, auf der documenta 7 war und Einzelausstellungen im Folkwang Museum, in Bern und Köln (Ludwig) hatte. Kirkeby, bekannt für seine großen Bachsteinskulpturen, ist in hier mit dynamisch-abstrakten Zeichnungen und Malerei vertreten. (Georg Gleistein Straße; bis zum 6.10.)

Hoch hinaus will die Städtische Galerie Delmenhorst: Wo schlichtere Gemüter „Das Tier in der Kunst“ titeln würden, untersucht die Chefin Barbara Alms unter „Tiere — Gedächtnisort Museum“ die „komplexe gesellschaftliche Problematik in unserem Verhältnis zur Natur“. Trotzdem ist hier ein buntes Spektrum zusammengekommen: Arbeiten von Eu Nim Ro, Hartmut Neumann, Hermann Stuzmann und Timm Ulrichs sind z.B. zu sehen. (DEL, Fischstr.30: bis 30.10.)

Vor fünf Jahren hatte sie ihre letzte Ausstellung in der Kunsthalle, niemand wußte, ob es ihre letzte war. Heute stellt die 95jährige Olga Bontjes van Beek frisch und vital wieder aus, diesmal in den Räumen der Deutsch-Italienischen Gesellschaft. Und zwar hat sie nicht nur moorig-morbide Worpswedisches gemalt; die Fischerhuderin ließ sich auch auf zahlreichen Italienreisen inspirieren. Stark symbolhafte, wuchtige (Stadt- )landschaften nahm sie bis Mitte der Achtziger von dort mit. (Sielwall 54)

Man kann eine beängstigende Armee drin sehen, eine Bestandsaufnahme, schreckliches Klagen: Die frauen de formation ist eine vielköpfige Gruppe von Tonskulpturen, geformt und gebrannt von Tina Schwichtenberg. Eine Armee weiblicher Leiber mit Wasserkopf oder Schlangengesicht, Totenschädel oder Doppelkopf, konturlos, hermetisch. „Ich drücke meine Kritik an den Frauen aus ... dieses Unterwürfige, Duldsame. Stehen sie nicht da wie Befehlsempfängerinnen?“ Vermutlich stecken weit heftigere Affekte hinter der „Kritik“, es handelt sich um eine gnadenlose, aber höchst stilisierte Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht. Die Ausstellung im Atelierhof gehört zum Begleitprogramm der 9.Bremer Frauenwoche. (Alexanderstr.9B, Eröffnung Sonntag, 22.9, bis zum 13.10.)

Das wollen wir uns jetzt mal auf der Zunge zergehen lassen: „Das Bild wird aus der Natur herausgerissen, in das Material hereingedrückt, ... und zu einer Eindeutigkeit gebracht, die jedoch offen ist für weitere Formen, Erfahrungen, Einsichten und Deutungsmöglichkeiten.“ Stammt diese Logorrhöe von Prof. Dr. Jens C. Jensen (Kiel), von Dr. Koepplin (Basel), von Dr. Peters (Düsseldorf) oder Dr. Stemmler (Mönchengladbach)? Das war die Jury des Bremer Kunstpreises 91, die soeben den mit 30.000 Mark ausgestatteten Preis dem Bildhauer Thomas Lehnerer verlieh. Der bronzene „Schöpfungsakt“, lobt die Jury, mache „betroffen“, der Betrachter „begreift, weil er selber zugreifen möchte“. Das Deuten am Eindeutigen beim Begreifen im Begreifen-wollen: Gelobt sei der alternative Bremer Künstler-Kunstpreis, der ohne jede Jury einfach verlost wurde. (Lehnerer und die nicht erwählten Finalisten sind in der Kunsthalle noch bis 20.10. zu sehen.) Burkhard Straßmann